Die Entwicklung der weltweiten Militärausgaben seit Ende der 1980er-Jahre lässt sich analytisch in mehrere Abschnitte strukturieren.
1. „Friedensdividende“ in Europa und Nordamerika (1988 – 1998)
Mit der Veränderung des militärpolitischen Kräfteverhältnisses durch die Auflösung des Warschauer Vertrages und dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 setzte eine Beschleunigung des Rückgangs der weltweiten Militärausgaben ein. Global betrachtet schrumpften die Militärbudgets um über 30 Prozent.
Allerdings entwickelten sich die einzelnen Weltregionen sehr unterschiedlich. Es wurde deutlich, wie stark die Rüstungsdynamiken eher durch regionale Konflikte, denn einem übergeordneten Kampf „Sozialismus gegen Kapitalismus“ bestimmt waren. Das Ende der Systemkonfrontation hatte auf die regionalen Militärbudgets außerhalb Europas und Nordamerikas nur begrenzte Auswirkungen.
In Europa und Nordamerika setzte sich eine allgemeine „Friedensdividende“ durch, wenngleich Umfang und Ursachen des Rückgangs sich unterschieden.
Die Staaten Osteuropas, des Balkans sowie der Raum der ehemaligen Sowjetunion erlebten umfassende Wirtschaftskrisen. Die überhöhten Militärausgaben waren nicht mehr finanzierbar. In Folge brachen die Militärbudgets auf 10-20 Prozent des alten Niveaus ein.
In den Staaten Mittel-/West-Europas und Nordamerikas sank auf Grund veränderter Bedrohungsperzeptionen die Bereitschaft große Militäraushaushalte zu finanzieren. In der Mehrheit dieser Staaten gingen die (realen) Ausgaben zurück. Allerdings ließen einige wie Frankreich, England und Italien ihre Militärbudgets weitgehend konstant. Hintergründe waren das Selbstverständnis als militärisch große Mächte sowie anhaltende Militäreinsätze.
Afrika, der Nahe Osten, Ozeanien, Südasien und Südamerika hielten ihre realen Ausgaben weitgehend stabil. Lediglich im Rahmen des ersten Golfkrieges 1991 kam es zu einem kurzfristigen Anstieg im Nahen Osten.
In Ost- und Südostasien hingegen stiegen die Militärausgaben kontinuierlich; allerdings verläuft dies im Einklang mit der ökonomischen Entwicklung. Insbesondere die Schwergewichte China, Japan und Südkorea streben ein stabiles Verhältnis von Militärausgaben zur Wirtschaftskraft an und stabilisierten sich zwischen ein (Japan) bis knapp drei Prozent (Südkorea). Politisches Primat hat dabei die wirtschaftliche Prosperität und nicht die militärische Stärke. Eine solche Ausgewogenheit erreichten die westlichen NATO-Staaten nicht.
2. Hochrüstung außerhalb Europas (1998 – 2009)
Vor der Jahrhundertwende begann eine Trendumkehr. Die Rüstungsausgaben stiegen auf allen Kontinenten deutlich an. Allerdings sind dabei zwei unterschiedliche Entwicklungen zu konstatieren. Außerhalb Europas übertrafen seit 2006/07 die realen Militärausgaben das Niveau der 1980er-Jahre teilweise deutlich. In Europa hingegen befanden sich die Militärhaushalte in allen Regionen unterhalb bzw. auf dem Niveau von 1992. Eine gewisse Ausnahme waren signifikante Erhöhungen in einigen osteuropäischen Staaten. Allerdings war/ist ihr absolutes Gewicht gering. Vor allem in mitteleuropäischen Staaten wie Deutschland manifestierte sich eine wirkliche „Friedensdividende“.
Hauptregionen der Ausweitung der Militärausgaben waren dagegen vor allem die USA, China und Staaten des Nahen Ostens.
China verdreifachte seine Militärausgaben und wird zum Staat mit dem zweitgrößten Militärbudget. Das Wirtschaftswachstum liegt in diesen Jahren zwischen acht und zehn Prozent. Der militärische Aufwuchs stellte keine Überrüstung Chinas dar, sondern spiegelte die Zunahme seiner Wirtschaftskraft.
Die USA verdoppelten ihre Rüstungsausgaben von 1998/99 bis 2010 und erreichten historisch (fast) einmalige Höhen. Die Steigerung des Militärbudgets verlief schneller als die Entwicklung der Wirtschaftskraft. Entsprechend zeigten sich Anzeichen einer Rüstungseskalation, die mit einer beschleunigten Militarisierung der Außenpolitik einhergingen. (Vgl. Trump und die Turbulenzen in der Weltpolitik)
In der Großregion Naher Osten und Nordafrika verdoppelten sich innerhalb einer Dekade die Militärausgaben. Die vom US-Einmarsch in den Irak 2003 ausgehenden Instabilitäten beschleunigten diese Aufrüstung. Allerdings konnte und kann die Steigerung der Wirtschaftskraft nicht in Ansätzen mithalten. Letztlich finanzier(t)en die Staaten des Nahen Ostens die Ausweitung ihrer Militärbudgets durch eine steigende Auslandsverschuldung. Es entstand eine Überrüstung. Damit wurde eine wesentliche Ursache für den späteren Zusammenbruch vieler Staaten dieser Region geschaffen. (Vgl. Militarisierung Naher Osten)
3. „Zurückhaltung“ im Zeichen der Wirtschaftskrise (2009 – 2015)
Mit der Weltwirtschaftskrise 2008/09 trat eine Stabilisierung bzw. leichte Absenkung der weltweiten militärischen Aufwendungen ein. Die Budgets reagierten dabei um ein bis drei Jahre verzögert, da sie nur langsam umgestellt wurden.
Die Staaten in den Weltregionen reagierten unterschiedlich – je nachdem wie stark sie von der Krise betroffen waren. Insbesondere die USA und die Mehrheit der europäischen Staaten senkten ihre Rüstungshaushalte teils deutlich. Staaten im Nahen Osten und Südostasien sowie China rüsten hingegen kontinuierlich weiter.
4. Neuer Rüstungsschub (2015 – Gegenwart)
Seit 2015 nehmen die globalen Militäretats wieder zu. Diese Entwicklung betrifft wie in den 2000er Jahren alle Kontinente. Absoluter Treiber sind Steigerungen in den USA und China.
Aber auch in Europa kommt es zu umfassenden Zuwächsen. Insbesondere in Zentraleuropa (Visegrad, Balkan, Baltikum) erhöhten sich die realen Militärausgaben um fast 75 Prozent.
Ein zentraler Faktor dieser Hochrüstung ist die Verschlechterung der außenpolitischen Beziehungen zu Russland und China. Es wird versucht den angeblichen Gegnern ein sinnloses Wettrüsten aufzuzwingen. Aber weder Russland noch China steigen (bisher) in diesen „Wettlauf“ mit ein. Insbesondere Russland kürzte 2016 seinen Militäretat. (Vgl. Hemicker 2017) Nach seiner Wiederwahl als russischer Präsident signalisierte Putin weitere Senkungen in den nächsten Jahren. (Vgl. tagesschau.de 2018)
Eine neue Studie des International Institute for Strategic Studies (IISS) zeigt, dass wahrscheinlich der chinesische Militäretat von SIPRI um zehn bis zwanzig Prozent überschätzt wird. (Vgl. Nouwens 2020) Damit fallen die Erhöhungen des Militärbudgets in den letzten Jahren deutlich geringer aus, als oft dargestellt.
SIPRI berechnet die Militärausgaben auf der Grundlage von Wechselkursen. Selbst Kalkulationen der chinesischen Militärausgaben durch Ansätze der Kaufkraftparität zeigen, dass China die aktuellen Ausgaben ökonomisch tragen kann – im Gegensatz zur Sowjetunion der 1970er bis 1980er. (Vgl. Robertson 2015)
Allerdings sind die chinesischen Planungen einer kontinuierlichen Steigerung der Verteidigungsausgaben angesichts ökonomischer Wachstumseinbußen problematisch. Es bleibt zu hoffen, dass China die politische Intelligenz findet, weiterhin ein stabiles Verhältnis von Militärausgaben zu Wirtschaftskraft beizubehalten. Auch wenn es möglicherweise bedeutet, die (realen) Ausgaben zu kürzen.
Die USA geraten mit dem jetzigen militärischen Ausgabenniveau an systemische Grenzen. Bei einem „Wettrüsten mit sich selbst“ kann der Westen jedoch nur verlieren. (Vgl. Kleinwächter 2015)
Militärausgaben Deutschland
In absoluten Zahlen hat Deutschland eine der größten Erhöhungen der Militärausgaben weltweit. Seit 2016 stiegen die realen Militärausgaben deutlich an. Innerhalb von vier Jahren erfolgte eine Erhöhung von über 30 Prozent – in laufenden Preisen von ca. 33 Mrd. auf 44 Mrd. €. Infolge dieser Steigerung befindet sich Deutschland wieder auf dem Niveau seiner Militärausgaben von 1993. Bei Diskussionen vom angeblich zu kostspieligen Sozial- und Bildungsstaat sollte diese Militarisierung immer mit beachtet werden.
Zumal die konservative Regierung unter Merkel plant, diese Aufrüstung weiter zu betreiben. Es ist das erklärte Ziel, bis 2031 das Ausgabeniveau für das Militär auf zwei Prozent vom BIP zu steigern. Das wären dann über 70 Mrd. €. Ein Niveau wie es selbst zu Hochzeiten der Systemkonfrontation im 20. Jahrhundert nicht erreicht wurde.
Datengrundlage
Die statistischen Angaben beruhen vor allem auf der SIPRI-Datenbank „Military Expenditure“. Der Text verwendet die Version vom Mai 2020. (Vgl. Stockholm International Peace Research Institute 2020)
Zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Forschungsinstitut und seinen Statistiken vgl. Kleinwächter, Kai: SIPRI – Statistiken für die Friedensforschung. (Vgl. Kleinwächter 2016)
Literaturverzeichnis
Hemicker, Lorenz (2017): Zeichen der Entspannung? Russland kürzt Militärausgaben. In: Frankfurter Allgemeine 2017, 24.03.2017. Online verfügbar unter https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/russland-kuerzt-militaerausgaben-zeichen-der-entspannung-14941329.html, zuletzt geprüft am 07.06.2020.
Kleinwächter, Kai (2015): NATO – Militärbudgets im Widerstreit. Telepolis. Hannover. Online verfügbar unter https://www.heise.de/tp/features/NATO-Militaerbudgets-im-Widerstreit-3370880.html, zuletzt geprüft am 08.06.2020.
Kleinwächter, Kai (2016): SIPRI. Statistiken für die Friedensforschung. In: Wissenschaft & Frieden (2016-4), S. 49–50. Online verfügbar unter https://www.wissenschaft-und-frieden.de/seite.php?artikelID=2170, zuletzt geprüft am 07.06.2020.
Nouwens, Meia (2020): Assessing Chinese defence spending: proposals for new methodologies. Hg. v. International Institute for Strategic Studies. London. Online verfügbar unter https://www.iiss.org/blogs/research-paper/2020/03/assessing-chinese-defence-spending, zuletzt geprüft am 07.06.2020.
Robertson, Peter (2015): China’s military and growing political power. Hg. v. voxeu.org. Online verfügbar unter https://voxeu.org/article/mismeasuring-china-s-military-spending, zuletzt geprüft am 07.06.2020.
Stockholm International Peace Research Institute (Hg.) (2020): SIPRI Military Expenditure Database. Online verfügbar unter https://sipri.org/databases/milex.
tagesschau.de (Hg.) (2018): Ankündigung Putins Russland will Militärausgaben kürzen. Online verfügbar unter https://www.tagesschau.de/ausland/putin-631.html, zuletzt geprüft am 07.06.2020 – Nicht mehr verfügbar.
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