Da mein Artikel zur „Bedrohung durch einen Atomkrieg?“, von Gabriele Muthesius im Blättchen 19/2018 angesprochen wurde, möchte ich einige Gedanken äußern, ohne den Artikel selbst zu wiederholen (für das Gesamtverständnis bitte in Langfassung nachlesen oder auf sputniknews.com schriftliches und mündliches Interview).
Eine (!) meiner Kernthesen ist: „Die Führung eines Nuklearkrieges war und ist nicht im Interesse eines Staates, der über Kernwaffen verfügt. Eine direkte ‚aktive Nuklearkriegsbedrohung‘ bei praktischer Vorbereitung eines atomaren Angriffskrieges war bislang kein Ziel irgendeiner Staatsführung.“
Die Autorin konzentriert sich auf zwei Kritikpunkte, die aber am politisch-militärischen Kern meiner Thesen vorbeigehen. Sie stützt sich dabei insbesondere auf die Publikation des investigativen Journalisten Erich Schlosser und seine „wahre Geschichte“.
1. SIOP – der nukleare Zielplanungskatalog der USA (analog in der Sowjetunion). Die Aufgabe von Militärs ist u.a., mögliche nukleare Kriegsszenarien mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln vorzubereiten. Das erwartet die Top-Führung. Dem dienen die Militärdoktrinen, die Waffensysteme, die Feindbilder, die Zielkoordinaten … Aber alle diese Nuklearkriegs-Theorien (!) sind von den Top-Entscheidern seit Hiroshima/Nagasaki nicht in die Praxis eines nuklearen Angriffskrieges umgesetzt worden. Warum?
„Mit einer Mischung aus Fachwissen, Glück und göttlicher Vorsehung, vermutlich aber vor allem Letzterem, haben wir den Kalten Krieg ohne einen nuklearen Holocaust überstanden.“ (Butler). Gegen das Glück und v.a. gegen Gott möchte ich nicht polemisieren. Aber damit lässt sich militärpolitisch rationales Handeln der Top-Führungen zum Nichteinsatz von Kernwaffen in den Krisen und Kriegen der vergangenen 70 Jahre kaum wissenschaftlich analysieren und bewerten.
2. Nuklearunfälle. Durch technisches Versagen, menschliche Schwächen, „Zufälle“ oder ähnliches (oftmals journalistisch überhöht) finden nukleare Unfälle statt. Seit 1945 über 1.200 Mal. Die Auslösung eines nuklearen Angriffskrieges jedoch, eines Erst- und Gegenschlages, ist, angesichts der stringenten Befehlsketten, der kollektiven Entscheidungsfindung und der technischen Sicherungssysteme hochgradig unwahrscheinlich.
Zum Titan-Unfall 1980: Selbst wenn (technisch so nicht möglich) der Atomsprengkopf auf US-Territorium mit katastrophalen Folgen explodiert wäre: Die Sowjetunion hätte eventuell ein Beileidstelegramm geschickt und angefragt, wie man helfen könne. Und nicht auf den „Roten Knopf“ gedrückt, um die USA auszulöschen. Umgekehrt gilt das genauso.
Wie aus solchen Nuklearunfällen ein nuklearer Angriffskrieg, bei gegenseitiger Vernichtung, entstehen soll, bleibt das Geheimnis der Nuklearunfall-Kriegstheoretiker. Mit der Aufzählung hunderter Unfälle, mit „hätte, wäre, könnte“, insbesondere aber mit der realen Praxis, der über 1.200 Nuklearunfälle ohne atomaren Angriffskrieg, noch Androhung, hat es wenig zu tun.
Notwendig sind Forschungen u.a. zu folgenden Kernfragen:
1. Warum hat es seit über 70 Jahren keinen Nuklearkrieg gegeben? Was waren für diese Nichtführung (!) eines atomaren Angriffskrieges die gesamtzivilisatorischen Verhinderungsfaktoren? Sie waren offensichtlich widersprüchlich dominant.
2. Wie kommt es zu dem Widerspruch von Theorie vs. Praxis; von extensiven Nuklearkriegsführungstheorien und dem praktischen Nichteinsatz (!) von Kernwaffen?
3. Was sind die vielfältigen Interessen für die anhaltende nukleare Hochrüstung und Weiterverbreitung dieser Waffentechnologien?
4. Wie können die Verhinderungsfaktoren (!) eines Nuklearkrieges in Rüstungsbegrenzung und Abrüstung münden?
5. Was kann der Massenmanipulation wirksam entgegengesetzt werden? Die Völker wurden in zwei Weltkriegen aufeinandergehetzt; fortgesetzt im Kalten Krieg und die Gegenwart prägend.
Die Problematik wird in WeltTrends, Nr. 146 / Dezember 2018, fortgesetzt.

Weitere Informationen zum Urheberrecht unter Kontakt/Impressum/Lizenz
Bei Interesse können die statistischen Daten für die Grafiken per Mail zugesandt werden.