1. Der Afghanistankrieg war von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Die Arroganz der USA und ihrer transatlantischen NATO-Gefolgschaft führten zur Fehlbewertung der Problemlage und einer Unfähigkeit zur Korrektur. Zwei Jahrzehnte hielt Deutschland an der Beschränktheit eines Verteidigungsministers Struck von 2002 „Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt“ fest.
Die sich mit den Jahren zuspitzende Situation wurde durch die Merkel-Regierung, trotz profunder Analysen kritischer Wissenschaftler und Friedensaktivisten (2011), nicht nur falsch eingeschätzt, sondern auch verdrängt und bewusst negiert. Stattdessen haben Vertreter der deutschen Politik, maßgeblich auf der Bundesebene bis hin zum damaligen Bundespräsidenten Gauck, pseudowissenschaftliche Positionen von „Meinungssöldnern“ verkündet. Erinnert sei nur an die Münchener Sicherheitskonferenz 2014 mit den militaristischen Auftritten von Gauck und von der Leyen sowie ihren Forderungen nach deutscher Verantwortung(slosigkeit).
2. Die damals schon absehbare Niederlage ist wesentlich begründet im grundsätzlichem Nichtverständnis der tribalistischen Zivilisation Afghanistans. Die enge Verbundenheit der Taliban mit großen Teilen der tiefreligiösen Bevölkerung ist nicht beachtet worden. Die permanente Unterwanderung des Staatsapparates und der Armee fand keine ausreichende Beachtung. Die Taliban wurden militärisch und in den letzten Jahren v.a. politisch unterschätzt. Durch ihre teuflisch-geschickte Diplomatie gelang es ihnen, den Westen zu täuschen.
3. Zu konstatieren ist ein Gesamtversagen der Regierung Deutschlands. Die ministeriellen Ausfaller schieben sich jetzt gegenseitig die Schuld zu. Unmittelbar verantwortlich ist insbesondere die konfuse, teilweise fachlich völlig unfähige Ministerriege Maas, Kramp-Karrenbauer, Seehofer und eine offensichtlich entscheidungsunfähige Kanzlerin Merkel. Letztere geht sowieso und es bleibt zu hoffen, dass alle anderen – selbst zu feige zum Rücktritt – nach den Bundestagswahlen aus Entscheidungsfunktionen exmittiert werden.
4. Zugespitzt hat sich die aktuelle Situation im Zusammenhang mit dem Schicksal der Ortskräfte – dem Verrat an unseren Verbündeten über die vergangenen Jahrzehnte. Schon 2010 (!) haben wir, die Analytiker, das Problem der Hilfskräfte und Verbündeten angesprochen. Schon damals „Kein Kommentar“ vom Einsatzführungskommando der Bundeswehr. Da wird palavert über Visa, Selbstbezahlung, Regeln, … und unsere Verbündeten sitzen in der Todesfalle. Das Morden hat begonnen.
5. Die militärische Niederlage der USA und der beteiligten NATO-Staaten nach 20 Jahren Krieg in Afghanistan verändert das internationale Kräfteverhältnis weiter zuungunsten des Westens. Der katastrophale Zusammenbruch der US-hörigen Regierung Afghanistans und die heillose Flucht der ausländischen NATO-Truppen sind eine historische Blamage, vergleichbar mit der Niederlag im Vietnamkrieg 1975 (die Situation ist nahezu spiegelbildlich).
6. Die imperialen Pseudokonzepte vom „state building“, „nation building“ und „responsibility to protect“ sind erneut krachend gescheitert. Ebenso ergeht es dem ethischen Imperialismus der moralisierenden „wertegeleiteten Außenpolitik“ der Merkel-Regierung sowie die vom außenpolitischem Dilettantismus dieser Maas und Röttgen repetierten „regelbasierten Ordnung“, bei Negation des Völkerrechts, der Charta der UNO und ihrer Grundprinzipien.
7. Die Niederlage des Westens ist auch eine Befreiung des afghanischen Volkes von einer neokolonialen Okkupation westlicher Staaten. Die Anerkennung und praktische Realisierung des Völkerrechts und seiner Prinzipien auf „Selbstbestimmung der Völker“ sowie der „Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten“ anderer Staaten geben auch den Taliban eine Chance, sich selbst zu reformieren und Afghanistan in diesem Jahrhundert in die Moderne zu führen.
8. Afghanistan ist und bleibt auf absehbare Zeit eines der ärmsten Länder der Welt. Zum Aufbau einer Wirtschaft und des Staates, insbesondere aber zur Beseitigung der dramatischen Hungersituation ist das Land existenziell auf ökonomische, finanzielle und humanitäre Hilfe durch andere Staaten und internationale Organisationen, insbesondere die UNO angewiesen. Die neue Taliban-Führung scheint sich dessen z.T. bewusst zu sein.
9. Russland und China verhandeln seit Jahren, mit Führungskräften der Taliban. Sie haben Vereinbarungen u.a. zum Schutz ihrer Botschaften und zur Bekämpfung des IS sowie Rohstoff- und Wirtschaftsprojekte (Seidenstraße) ausgehandelt. Insgesamt bewerten sie die Entwicklung nüchtern realistischer und sehen stärkere Chancen für eine friedliche Koexistenz. Auch unter diesem Aspekt ist die Einstellung der deutschen Entwicklungshilfe für Afghanistan fragwürdig und wohl eher eine weitere politisch-ökonomische Kurzsichtigkeit.
10. Jetzt müssen und können langfristige Pflöcke gegen eine expansive Militärpolitik Deutschlands in den nächsten Jahren eingeschlagen werden. Vor allem ist die Aufklärung der Bevölkerung, insbesondere der jungen Generation, für eine Politik der friedlichen Kooperation und gegen militärische Interventionen zu aktivieren. Die großen Themen des 21. Jahrhunderts – Friedens- und Klimapolitik – sind zwei Seiten einer Medaille.
Weitere Literaturhinsweise zum Nachdenken finden sie auf den Seiten von WeltTrends – Dem außenpolitischen Journal.
Weitere Informationen zum Urheberrecht unter Kontakt/Impressum/Lizenz.
Bei Interesse können die statistischen Daten für die Grafiken per Mail zugesandt werden.