Wie sieht verantwortliche Politik für die Welt aus?“, fragte zum Jahreswechsel 2007/08 die Kanzlerin und pochte auf eine „wertegebundene“ Außenpolitik. Die deutsche Regierung und damit auch die Kanzlerin sind als erstes dem eigenen Volk verantwortlich. Primär geht es dabei um Sicherheit, Wohlstand und Stabilität. Ihre Aussagen gegenüber den USA, Russland, China, Israel sind in der deutschen Bevölkerung zumindest umstritten. Globalisierung und Integration sind begriffliche Konstrukte, die von einer Mehrheit nicht verstanden werden und eher Abwehr auslosen.
Die deutsche Außenpolitik verändert sich, was von einem Teil der (west)deutschen Führungselite zunächst vehement abgelehnt und erst in jüngster Zeit akzeptiert wird. Eine ausgewogene neuartige Außenpolitik ist jedoch im parteipolitischen Gezänk nur schemenhaft sichtbar und widersprüchlich. Es bedarf offenbar – mangels Reife einer Vielzahl von Akteuren – noch einiger Jahre für eine realistische Gesamtgestaltung.
Ein Resümee bietet Plus und Minus: Die Europäische Integration ist mit Gemeinsamen Markt, Währungsunion, geografischer Erweiterung und dem Vertrag von Lissabon dynamisch vorangekommen. In der Ökologie- und Klimapolitik ringt Deutschland um eine Vorreiterrolle. Frankreich und Deutschland haben das offene Kerneuropa-Konzept forciert. Eine komplizierte Phase in den deutsch-polnischen Beziehungen ist zunächst überstanden.
Die Forderung nach einem ständigen Sitz Deutschlands im UN-Sicherheitsrat signalisiert den Willen an einer Verrechtlichung der internationalen Beziehungen, der Stärkung und Reform supranationaler Institutionen sowie der Übernahme eigener Verantwortung. Jedoch zeugt die Penetranz, mit der dies vorgetragen wird, von einer Fehleinschatzung des politisch-diplomatischen Kräfteverhältnisses. Hier werden bekannte Diplomaten und Kanzlerberater Opfer ihres Wunschdenkens.
Irritierend bis falsch ist die Politik gegenüber strategischen Partnern. Die Politik der Kanzlerin riskiert geradezu einen Bruch in der bis dato pragmatisch-konstruktiven „Partnerschaftspolitik“, sei es mit Russland, China oder anderen Staaten.
Der dürftige Beginn einer EU-Afrika-/Mittelmeerpolitik brachte einen Gipfel-Eklat und Differenzen mit Frankreich. Gravierende Fehler gibt es im politisch-militärischen Bereich. Hier war bereits die Regierung Schroder extrem widersprüchlich. Einerseits beteiligte sie sich am völkerrechtswidrigen NATO-Krieg im Kosovo. Andererseits brach Schröder die Vasallentreue mit den USA und verweigerte – historisch bedeutsam – eine Teilnahme am Irakkrieg.
Aber hier sieht Frau Merkel keine „Wertegebundenheit“, obwohl über 60 Prozent der Deutschen gegen einen militärischen Einsatz im Ausland sind. Diese friedliche Grundeinstellung wird von ihr und einer Mehrheit der Abgeordneten des Bundestages negiert. Es muss klar gesagt werden: Die politischen Entscheidungsträger laden sich Schuld auf, die sich auch nicht demokratisch kaschieren lasst.
Die Zeichen an der Wand verheißen nichts Gutes für den Westen – sei es in Afghanistan, im Irak, im Nahen Osten, im Kosovo oder in Pakistan. Abrüstung, Reduzierung und Einstellung der Waffenexporte, Rückzug US-amerikanischer Truppen aus Deutschland, einschließlich ihrer Nuklearwaffen, spielen in der Außenpolitik unter Merkel keine Rolle.
Die doppelbodige „wertegebundene“ Außenpolitik der Kanzlerin erhöht die außenwirtschaftlichen Risiken unserer Volkswirtschaft. Profilierungssüchtige Forderungen nach Durchsetzung von Menschenrechten und Demokratie gegenüber Russland, China, Iran und (notwendigerweise) vielen arabischen und afrikanischen Staaten werden von diesen als „ethischer Imperialismus“ und letztlich als destabilisierend verstanden. Das ist für diese Staaten nicht akzeptabel und zeugt von einer fatal beschrankten Sicht auf internationale Entwicklungen; es schadet den europäischen und deutschen Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen.
Die Kanzlerin kann in dieser Frage, von der nüchternen Kompromissbereitschaft ihrer Vorgänger lernen. Notwendig ist Realismus statt selbstgenügsame moralisierende Überheblichkeit, die mit unterschiedlichen Messlatten operiert, was sicherlich kein gutes Beispiel für künftige Führungskräfte, den Studenten in Seminaren für „Interkulturelles Management“, ist.
Das Jahr 2008 bietet Chancen für notwendige Korrekturen in der Partnerschafts-, Friedens- und Abrüstungspolitik, für eine verantwortungsbewusstere deutsche Außenpolitik.
Der Kommentar erschien 2008 zuerst in WeltTrends – Das außenpolitische Journal Nr. 58 Regionalmacht Iran. Sie ist auch als PDF verfügbar.
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