Stand: 2018
Wir stehen vor einer Zeitenwende – entweder kommt es zum gemeinsamen Wohlstand oder zum Niedergang Europas in einer immer stärker globalisierten Welt. Deutschland, anteilig mit ca. 20 Prozent die größte und außerordentlich technologiestarke europäische Wirtschaft, trägt dabei eine zentrale politische Verantwortung.
Leider wird die derzeitige Regierung diesen Herausforderungen nicht gerecht. Kanzlerin Merkel, mehrfach zur „stärksten Frau der Welt“ gekürt, gelingt bislang keine kompromissfähige Stabilisierung, geschweige denn eine zukunftsfähige Investitions- und Nachhaltigkeitsstrategie. Die seit zwei Jahrzehnten erfolgreiche Exportoffensive der deutschen Großindustrie, finanziert von Banken, generiert gigantische privatwirtschaftliche Gewinne. Die Reallöhne der Masse der Bevölkerung stagnieren dagegen auf dem Niveau von 1995.

Die europäische Finanzoligarchie, inklusive der griechischen, profitiert. Die Managergehälter in astronomischer Höhe sind nur ein Indiz dafür. Raffgier und Ausbeutung pur! Es gibt kein Problem der Wertschöpfung – weder in Griechenland noch in Deutschland oder Europa –, sondern sich zuspitzende Verteilungskonflikte bei der Arbeit, wobei die Jugend extrem betroffen ist, und beim Einkommen.
In Europa kippt die Stimmung für eine Vertiefung und Erweiterung der Integration. Die schon vor zwei Jahrzehnten mit der Währungsunion beschlossene Schaffung einer Wirtschafts- und einer darüber hinausgehenden Sozialunion wird infrage gestellt. Mehr noch, aufgepeitschter Nationalismus gewinnt Raum und droht die EU zu spalten. Das ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen neokonservativen Deregulierungspolitik zur Einschränkung der Wohlfahrt, aber maßloser Freiheit für Großindustrie und Privatbanken. Das ist die Spur, die Rot-Grün mit der Agenda 21 in Deutschland hinterlassen hat.

Die Geschichte Europas dokumentiert die Leistungen jeder Nation zur europäischen Gemeinschaft: die humanistischen Grundlagen der griechisch-römischen Antike, die Öffnung der Weltmeere durch Spanien und Portugal, die Befreiung Wiens durch Polen, der Beginn der Industrialisierung in Großbritannien, die Geburt der Demokratie in England und Frankreich – und wieder trommelt es von dort „Empört Euch!“, „Wehrt Euch!“. Das innereuropäische Kräfteverhältnis verschiebt sich nach Mitte-Rechts. Frankreich, Deutschland, Polen und weitere europäische Staaten sind jetzt solidarisch gefordert für die Einheit Europas.
Kontraproduktiv sind dabei Extrempositionen im rechten und linken Spektrum der Gesellschaft. Eurokritiker werden mit Forderungen nach Ausschluss einzelner Staaten zu Zerstörern der Währungsunion. Die Forderung nach einer Gesamtauflösung, wie jüngst von Jacques Sapir gefordert, untergräbt die Europäische Union als Ganzes. „Denn der Euro ist mehr als eine Währung“, so Martin Walser. Der Euro ist Kulturgut und Identitätsmerkmal, politisches Programm und Integrationsinstrument, globale Handels- und Reservewährung sowie wirtschaftspolitischer Stabilisator und Konkurrenzwährung des Dollars.
Aber wie sich heute zeigt: Er ist auch Spaltungs- und Spekulationsobjekt, der zur Zerstörung des europäischen Projekts führen kann. Nun warten alle, wie einst auf die nebulösen Sprüche des Orakels von Delphi, auf die Empfehlungen einer zweifelhaften Troika zu Griechenland, einem ökonomischen Kleinstaat, von unter zwei Prozent der EU-Wirtschaftskraft. Gefragt ist aber gegenwärtig konsequentes Handeln mit einer klaren politischen Orientierung. Wir sind solidarisch in der Pflicht, denn „Geistlos verkümmern wirst Du ohne das Land, dessen Geist Dich, Europa, erdachte“, so Günter Grass.
Trotz hoher Lebensqualität verliert Europa angesichts politischer Uneinigkeit, ökonomischer Stagnation und anhaltender Währungskrise an Strahlkraft. Unabdingbar ist deshalb die gesellschaftliche – staatliche und genossenschaftliche – Regulierung der europäischen Finanzmärkte, der Banken und Versicherungen, insbesondere die Unterbindung von Spekulationen. Es gilt, mit dem asozialen Prinzip einer Privatisierung der Gewinne bei Vergesellschaftung des Risikos durch Staats- oder Zentralbankgarantien zu brechen.
Das revolutionäre Bürgertum Europas hatte vor über 200 Jahren den unproduktiven Blutadel enthauptet und mit der Schaffung kapitalistischer Märkte und demokratischer Gesellschaften eine Führungsrolle in der Weltzivilisation übernommen. Entscheidende Produktivitäts- und Demokratiemerkmale sowie Elemente des Rechtsstaats drohen verloren zu gehen. Für den Fortschritt in Europa, zur Wiedergewinnung einer globalen Vision von Gemeinschaft, Selbstbestimmung und Solidarität, ist es an der Zeit, den parasitären Geldadel zu entmachten. Wer sonst als die Europäer, wo sonst als in Europa?
Der Kommentar erschien 2012 zuerst in WeltTrends – Das außenpolitische Journal Nr. 86 Neue Weltordnung 2.0″. Sie ist auch als PDF verfügbar.
Kunstwerk des Eintrages
Juliusz Kossak (1824-1899) – König Johan III. Sobieski vor Wien
Lizenz: Gemeinfrei
Das Gemälde zeigt den polnischen König Johan III. Sobieski nach dem Sieg über die osmanischen Truppen vor Wien bei der zweiten Belagerung im Jahr 1683. Der Legende nach brachten noch auf dem Schlachtfeld polnische „geflügelte“ Panzerreiter dem König die Fahnen des osmanischen Heeres. Das Zeichen des endgültigen Sieges.
Die zweite Belagerung war der letzte große Versuch des osmanischen Reiches sein Gebiet auszuweiten. Das Scheitern leitete den fast zweieinhalb Jahrhunderte währenden Niedergang ein. Die nach dem Ende der Belagerung beginnennde Offensive der europäischen Truppen führte zur Eroberung des osmanischen Teils Ungarns. Österreich-Ungarn stieg zur bedeutends deutschen Macht auf.
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