Zukunftsstrategie kontra Merkel-Raute

Die Welt verändert sich radikal. In den kommenden Jahrzehnten ist mit weiteren Zuspitzungen in den internationalen Beziehungen zu rechnen. Der Westen zerfällt in einer Systemkrise der Selbstzerstörung. Trumps „America First“-Politik führt zu brutalen innerimperialen Machtkämpfen. Politische, ökonomische, militärische Grundfragen und strategische Bündnisse stehen zur Disposition – atlantisch, europäisch, eurasisch …

Und Deutschland quälte sich durch einen drögen Wahlkampf. Die neue Großkoalition regiert altbacken und die Opposition ist ohne Biss. In den vergangenen Jahren häuften sich folgenschwere Fehleinschätzungen. Die Osteuropapolitik ist am mitverursachten Ukrainekonflikt gescheitert. Die arabischen Aufstände und folgenden Flüchtlingsströme, der Brexit, die Trump-Administration, der unerwartete Macron – die deutsche Regierung war jedes Mal schockiert, überrascht und handelte defensiv.

Merkels Regierung hat Partner und Verbündete verprellt und Deutschland in eine „Isolation“ manövriert: u. a. schwerster Stand in der EU, konfliktreiches USA-Verhältnis, Tiefstand in den Beziehungen zu Russland, Konfrontation mit der Türkei. Die Merkel-Mannschaft reagierte mit Wagenburg-Mentalität – „Schuld sind immer die anderen“, die demgemäß mit medialen Diffamierungskampagnen gebrandmarkt wurden. Zur politischen Neugestaltung war die CDU-geführte Regierung nicht fähig und die SPD ist noch (?) nicht bereit.

Die Divergenzen zwischen den regierenden Parteien einerseits und Kreisen der Wirtschaft sowie großer Bevölkerungsteile andererseits implizieren eine Schwächung der demokratischen Ordnung. Autoritäre Herrschaftstendenzen nehmen zu. Die Kleinparteien – die zerstrittenen Grünen und die Linken, die klientelorientiert FDP und die bayrisch-regionale CSU – sind damit befasst, sich inner- und zwischenparteilich abzugrenzen, statt massenwirksame Alternativen zu unterbreiten. Die völkische AfD spitzt die Zerrissenheit zu.

Merkels „werteorientierte“ Außenpolitik ist gescheitert und die nationalegoistische Exportpolitik wirft Konflikte auf. Spätestens ist dies sichtbar seit der Machtübernahme der radikal interessengeleiteten Trump-Administration und der neuartigen europaorientierten Bewegung unter Macron. Unabhängig von möglichen Regierungskoalitionen steht eine qualitative Neugestaltung der Außenpolitik Deutschlands für das 21. Jahrhundert auf der Tagesordnung:

1. Stärkung der EU-Integration

Grundlage sind die im Weißbuch zur Zukunft Europas von der EU-Kommission unterbreiteten Szenarien. Für Deutschland steht ein selbstständiges, offenes Kerneuropa der Eurozone im Zentrum. Das strategische Bündnis mit Frankreich ist zu vertiefen.

2. Mitgestaltung einer Eurasischen Strategie

Das chinesische Konzept eines ökonomischen Kooperationsraumes Eurasien unter dem Label „One Belt, One Road“ eröffnet gigantische Entwicklungsdimensionen für China, Russland, Indien inklusive Nachbarregionen. Diese „Neue Seidenstraße“ könnte auch für die EU und Deutschland der entscheidende Absatz- und Beschaffungsmarkt dieses Jahrhunderts werden.

3. Kooperation mit Russland

Überfällig ist der Abbruch der wirkungslosen Sanktionspolitik gegenüber Russland. Der von Putin 2010 angeregte gemeinsame Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok sollte aufgenommen werden. In diesen Zusammenhang sind Lösungen des Ukraine- und des Krimkonflikts einzubetten.

4. Stabilisierung der Nachbarregionen Europas

Die Großregionen des Nahen Ostens und Afrikas bleiben langfristig instabil. Entsprechend ist mit anhaltenden Flüchtlingsströmen zu rechnen. Der „Marshallplan mit Afrika“ kann ein Strategieansatz sein. Es bedarf dabei aber einer massiven Ausweitung der gemeinsamen Investitions- und Handelspolitik der EU / Deutschlands.

5. Reorganisation der Außenwirtschaft

Ein Schwerpunkt ist der Abbau der extrem überhöhten Exportüberschüsse insbesondere gegenüber den europäischen Partnern und den USA. Ein robustes Investitions- und Modernisierungsprogramm in der deutschen Binnenwirtschaft ist notwendig. Stichworte: Industriepolitik 4.0, Energiewende, E-Mobilität, Digitalisierung, Stärkung der Nachfrage und Kaufkraft mittels drastischer Lohnerhöhungen in Deutschland sowie Schuldenerlass für die EU-Partner.

Die ökonomischen und finanziellen Potenziale für diese Programmatik sind vorhanden. Beide Großparteien schwächeln jedoch bislang in ihrer intellektuellen und visionären Gestaltungkraft. Deutschland braucht keine verlegene Fingerspielerei, sondern eine anpackende Führungselite und tatkräftige Zukunftsgestaltung.

Der Kommentar erschien zuerst in WeltTrends – Das außenpolitische Journal Nr. 131 Außenpolitik im Zeichen der Raute“. Sie ist auch als PDF verfügbar.


Bildrechte

Titel: Merkels Hand; Urheber: Thomas Dämmrich; Lizenz: Attribution-NonCommercial-NoDerivs 2.0 Generic (CC BY-NC-ND 2.0).

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