Derzeitige Aktualisierung: Oktober 2022
Erste Fassung: Frühjahr 2014
Letzten Donnerstag (September 2013) besichtigte ich die Salvador Dalí Ausstellung in Berlin. Die bizarre Kunstwelt Dalís bewegt, gibt vielfältige Denkanstöße und wirft Fragen auf:
War der Künstler drogeninspiriert und wahngeleitet?
1. Antwort: Arbeitspensum
„Du musst besser und fleißiger als die anderen sein.
Nur „besser“, reicht nicht.“
DJ Bobo (Dokumentation Sing meinen Song 2021)
Die Größe des Werkes von Dalí besteht auch darin, dass er eine erstaunliche Vielfalt von Techniken, Materialien, Stilen und Präsentationsformen nutzte – Kaltnadelradierungen auf Kupferplatten („Gretchen“, „Reiter und Tod“), Ölfarben („Junges Mädchen am Fenster“*), Skulpturen aus verschiedensten Materialien („surrealistischer Engel“), Filme („Destino“) … Das trotzdem „Dalí“ erkennbar bleibt, zeugt vom Niveau seines Könnens.
Eine ähnliche Vielfalt findet sich auch bei anderen bekannten Künstlern. Ein prägendes Beispiel ist Picasso. Schätzungen gehen davon aus, dass er über 50.000 Werke geschaffen hat. Allein über 400 Bilder von seiner letzten Ehefrau. Auch bei ihm findet sich eine unüberschaubare Vielfalt an Materialien und Methoden. Eine kleine Auswahl davon ist in der aktuellen Ausstellung des Barberini zu sehen. Bis Mitte Juni 2019 können seine Spätwerke bewundert und vor allem erkundet werde.
Dahinter stehen Arbeitsintensität und Disziplin. Beides zerfällt im Rausch. Dalí ging nur wenig zu Feierlichkeiten, sprach Alkohol als auch Essen nicht übermäßig zu und führte ein extrem arbeitsreiches Leben. Die mit dem Reichtum ab den späten 1950er Jahren erbauten Traumschlösser für sich und seine Frau waren Rückzugsorte – keine Plätze orgiastischer Veranstaltungen.
2. Antwort: Freie Assoziation
Zentral für gestalterische Leistungen sind Kreativitätstechniken. Beispielsweise entwickelten Dalí und Luis Buñuel durch die Technik des „automatischen Schreibens“ das Skript zum Kurzfilm „Ein andalusischer Hund“. Eine prägnante Beschreibung des Entstehungsprozesses findet sich im ansprechenden Begleitheftchen zur Ausstellung.
Um mit diesen Techniken des Geistes Neues hervorbringen, muss sich der Schaffende von gesellschaftlich „aufgezwungenen“ Gedankengängen befreien. Dazu zählt nicht nur der simple Bruch mit gesellschaftlichen Tabus. Im Gegenteil, wer nur gegen etwas kämpft, ist dessen Sklave. Oder: Feuchte Porno-Romane emanzipieren keine Frauen.
Drogen zerstören Kreativ-Prozesse. Die durch sie hervorgerufenen Impressionen lassen sich nicht lenken und bestehen vor allem aus langweiligen Wiederholungen. Die Antwort einer „Ausweitung des Konsums“ führt dann zum Verfall des Menschen. Nicht er steuert die Drogen, sondern diese ihn. Ein Künstler der mit Drogen seinen Assoziationen nachhelfen muss, beerdigt seine Innovationskraft. Seine Werke werden schlechter – er merkt es nur nicht mehr.
3. Antwort Ideenaufnahme
Moderatorin: „Ist doch ungewöhnlich sich mit Menschen zu umgeben,
die besser sind als ich.“
DJ Bobo: „Nein im Gegenteil. Das ist der Schlüssel zum Erfolg.
Nur so wird man selbst ständig besser.“
DJ Bobo (Dokumentation Sing meinen Song 2021)
Dalí entwickelte vor allem zwei „Techniken“ der Ideenaufnahme.
Einerseits umgab er sich gezielt mit inspirierenden Menschen – Picasso, Freud, Stefan Zweig, Mary Phelps Jacob … Es zählten aber auch Menschen dazu, die ihm (unkreative) Arbeiten abnahmen. Damit erhielt er Zeit sich um seine Kunst zu kümmern. Vor allem seine Frau Elena Diakonova übernahm lange Zeit die Tätigkeiten eines Managers, PR-Beraters und „Lektoraten“. Ihr Anteil an seiner Kunst ist – wie bei vielen Künstlern, bei denen die Frauen in ihrer Umgebung als „Musen“ abgetan werden – nicht zu unterschätzen.
Ab den 1960er Jahren beschäftigte das Ehepaar Dalí Manager für den Vertrieb der Merchandising-Artikel. Die durch professionelles Marketing vorangetriebene, heftig kritisierte „Kommerzialisierung“ Dalís inklusive der Zusammenarbeit mit dem Playboy war keine Fehlentwicklung. Sie stellte eine wesentliche Weiterentwicklung seiner Kunst dar und war essentiell für seine Bekanntheit über eine kleine Künstlergemeinschaft hinaus. Moderne Gesellschaften sind Massengesellschaften. Entsprechend bleiben die, die für alle Schichten der Bevölkerung wirken und nicht nur für selbsternannte Eliten.
„Diese romantische Vorstellung: »Eines Tages wird gesehen, wie gut ich bin«, hält sich hartnäckig. Es ist eine Allmachtsfantasie, die mit der Realität nichts zu tun hat. […]
Künstlerin zu sein ist eine Berufung und wird dann erst zum Beruf, wenn die Anforderungen erfüllt werden, die mit einer Berufstätigkeit verbunden sind – sonst bleibt es ein Hobby.
Ihr großes Talent, Ihre Arbeiten, das ist die Basis, mehr nicht. […]
Von Michelangelo über Frida Kahlo bis zu Yayoi Kusama machen erfolgreiche Künstler:innen auf sich aufmerksam, manchmal über Jahrzehnte. Damit verbringen sie mehr als die Hälfte ihrer Zeit – eher 70 Prozent. Die plötzliche Entdeckung hat es nie gegeben, immer haben sie alles gegeben, um Menschen zu gewinnen, die sie wahrnehmen, weiterempfehlen, fördern. Nicht einmal, nicht zweimal, dauernd, damit sie dann, nach Jahren, wie zufällig »entdeckt« werden. […]
Lernen Sie von den Besten.“
Dorthea Assig und Dorothee Echter (spiegel 2022)
Andererseits lehnte sich Dalí immer wieder an berühmte Künstler und Werke an. Er ist angeregt von Hieronymus Bosch wie auch von Dürer und Velasquez. In der Dalí-Ausstellung finden sich „versteckte“ Bezüge zu diesen Malern. Die Entdeckung lohnt sich.
Gleichzeitig zeigt die Ausstellung brillant, wie intensiv Dalí zeitlose und gegenwärtige Gedankenwelten nutzt und verfremdet – „Alice im Wunderland“, „Die göttliche Komödie“, „Tristan und Isolde“, „Faust“, Silbermedaillen für Olympia, Adenauer und Israel sowie „Hitler Masturbierend“*…
Damit gelingt es sowohl Liebhabern anderer Kunstströmungen als auch weniger Kunstinteressierten leichter in Dalís-Werk einzutauchen. Modern ausgedrückt nutzte er andere Marken, um den Wert und das Interesse an der Supermarke „Dalí“ zu steigern.
Unbestritten helfen (Alltags-)Drogen bei der Kontaktaufnahme mit Menschen. Aber unter Drogeneinfluss können Impulse von anderen Menschen kaum „gespürt“ werden. Man ist sich und der Droge genug – vereinsamt und verkümmert. Übertriebener Drogengenuss schreckt gerade Leistungsträger ab. Die Kooperationspartner Dalís wollten und erhielten kommerziellen Erfolg, künstlerische Weiterentwicklung oder sozialen Status. Ein Drogenkranker wäre hier gescheitert.
Woher kommt die Legend vom Drogen-Dalí?
Realistische Malerei ist selbsterklärend (Landschaft mit Bäumen; ein Hafen mit Booten; ein Menschengruppe mit Picknick). Oft erfolgt noch eine inhaltliche Aufladung durch die Verwendung politischer Symbole oder der Darstellung religiös-mythischer Szenen. Zum Verständnis braucht es kaum einer Erklärung.
Aber die abstrakte, teilweise bewusst sinnentleerte Malerei lässt den Betrachter allein. Was stellt es dar? Was dachte sich der Künstler dabei? Warum schuf er das Bildnis? Unbeantwortete Fragen. Damit verschließt sich die Kunst dem Publikum, dass diese aber finanzieren soll.
Eine Antwort auf diesen Widerspruch ist, eine Neudefinition des Begriffs „Kunstwerk“. In der Moderne steht nicht mehr das fertige Produkt im Zentrum, sondern der gesamte Schaffensprozess inkl. der Präsentation. Der Künstler mit seiner Maltechnik und auch seinem Lebenswandel werden Teil der Inszenierung „Gemälde“.
Welche Entstehungsgeschichte ist spannender und animiert eher zum Kauf:
a) In einem monatelangen, einsamen Schaffensprozesses erfolgt eine kontinuierliche Abstrahierung des Motivs. Immer wieder wird dasselbe Grundmotiv mit nur leichten Variationen gemalt. Bis eine Version entsteht, die der Künstler für fertig hält. (Einen guten Eindruck davon vermitteln die zig Versionen von nur in Nuancen varierten Stieren im Dalí-Museum.)
b) Umgeben von tanzenden nackten Musen überkam dem Absinth trinkenden Künstler die Inspiration. Im Rausch malte er das Kunstwerk, um sich danach oder war es während, noch unter der Staffelei, mit seinen Geliebten zu vergnügen.
Salvador Dalí baute das Image eines extremen Künstlers gezielt auf. Dazu gehörten natürlich Drogen- und Sexeskapaden. Sie waren Teil der Marke Dalí, gaben ihr einen verruchten Charakter und machten sie für die Boulevard-Presse interessant. Spießbürger konnte sich jetzt mit Dalí den kleinen Ausblick aufs Abenteuer ins Wohnzimmer hängen – auf Experimente, die sie selbst nie gewagt hätten. Sie konnten mit bzw. durch ihm träumen.
Zusammenfassung
Vielfältigste Kontakte und das Einlassen auf andere Symbolwelten – letztlich auf Marken – versorgten Dalí mit unterschiedlichsten Ideen. Aus diesen entstanden durch Kreativitätstechniken, durch Verdichtung, Neukombination und Verfeinerung immer neue Assoziationen. Intensivste Arbeit und künstlerische Weiterentwicklung schaffen ein geniales Werk. Aus dieser Vielfalt bildete sich ein qualitativ hochwertiges Extrakt – das künstlerische Erbe Dalís.
Nahm Dalí Drogen? Als Mensch – vielleicht, ist aber uninteressant.
Als Künstler – nein. Sie hätten sein künstlerisches Schaffen beendet.
Dalí formulierte einst: „Ich nehme keine Drogen. Ich bin die Droge.“
War Dalí „Wahn-sinnig“?
Ja! … Und deshalb ist er einer der Größten im Olymp der Kunst!
Ein Besuch der Ausstellung ist lohnend.
* Diese Werke sind leider nicht Bestandteil der Ausstellung ;(
Kurze biographische Angaben zu Dalí.
Bildangabe
Titelbild: Salvador Dali mit Babou – einem zahmen Ozelot 1965. Urheber: Roger Higgins, World Telegram staff photographer. Lizenz: United States Library of Congress’s Prints and Photographs division under the digital ID cph.3c14985.
Literaturverzeichnis
Literaturverzeichnis
Assig, Dorothe; Echter, Dorothee (2022): Ich bin Künstlerin – wie werde ich entdeckt? In: SPIEGEL, 05.09.2022.
Kunstwerk des Eintrages
Bosch, Hieronymus: Baum-Mensch in einer Landschaft
von http://www.zeno.org – Contumax GmbH & Co.KG
Weitere Informationen zum Urheberrecht unter Kontakt/Impressum/Lizenz.
Bei Interesse können die statistischen Daten für die Grafiken per Mail zugesandt werden.
Ein Gedanke zu “Salvador Dalí – Drogen und Wahn”