Niall Ferguson: Der Westen und der Rest der Welt

Niall Ferguson: Der Westen und der Rest der Welt.
Die Geschichte vom Wettstreit der Kulturen.
Propyläen-Verlag, Berlin 2011, 560 S.

Erleben wir gerade „die Schlussphase des 500-jährigen Aufstiegs des Abendlandes“? Wie kam es zum Aufstieg? Können wir „eine Prognose zu seiner zukünftigen Entwicklung stellen?“ Ein gewaltiger Anspruch – dem der britische Historiker und Wahlamerikaner Ferguson nicht gerecht wird. Kern seiner Darlegungen sind sechs medienwirksam aufgeblähte „Killerapplikationen“ (S. 44f, 449f):  Kapitalistischer Wettbewerb, Wissenschaft, Eigentumsrechte, Medizin, Konsumgesellschaft und (protestantische) Arbeitsethik. Über weite Strecken faktenreich und durchaus anregend geschrieben, fehlt jedoch ein visionärer Gesamtzusammenhang. Die aufgeworfenen Fragen kann oder will Ferguson nicht beantworten.

Fergusons massivem Rückgriff auf altbekannte Konzepte entspricht sein Mangel an Originalität. Er verharrt in neokonservativen Denkmustern eines anglo-amerikanischen Macht- und Dominanzstrebens, projiziert in die Zukunft. Ein andersartiges globales Gesellschaftskonstrukt, das sich nicht auf Privateigentum, kapitalorientierte Konkurrenz, klassisch-konsumistischen Wachstumswahn und militärischer Durchsetzungskraft gründet, entzieht sich seiner Vorstellungskraft. Globalisierung und die Verschiebung der Kräfteverhältnisse werden als westlicher Niedergang (nicht) verstanden. Historische Zeiträume der Veränderung im 21. und 22. Jahrhundert sind alarmistisch verkürzt und werden insbesondere mit Blick auf China als Bedrohung des Westens dargestellt. Ein kooperativ geprägtes Globalkonzept – leider Fehlanzeige.

Weltwirtschaft, Aufstieg und Fall, Armut und Reichtum, Kollaps, Kulturkampf und Weltregierung werden wissenschaftlich gediegener bei Marx und Spengler, Kondratjeff und Kennedy oder Seitz und Wallerstein analysiert. Dort bedient sich Ferguson reichlich. Bei ihm würde das Abendland wahrscheinlich an Ideenlosigkeit und rückwärtsgewandt in Arroganz und Selbstzweifel untergehen. Wie meinte er mit Blick auf die dominierende historische Methodologie: „keine Lösungen (…), bestenfalls eine Handvoll bunt gemischter ‚Scheißereignisse’“ (S. 13). Lesenswert für 08/15-Konsumenten.

Die Annotation erschien zuerst in WeltTrends – Das außenpolitische Journal Nr. 86 Neue Weltordnung 2.0″. Sie ist auch als PDF verfügbar.

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