Energie-Außenpolitik

Außenpolitik ist die Gesamtheit der politischen, ökonomischen, militärischen und soziokulturellen Handlungen der führenden Eliten eines Staates gegenüber anderen Staaten. Ihre Hauptaufgabe besteht in der Sicherung der günstigsten internationalen Bedingungen für die freie Eigenentwicklung des Landes.

Deutschland betritt seit der deutschen Einheit auch außenpolitisch neue Wege. Dabei gilt es, die deutschen Interessen zu definieren und konsequent umzusetzen. Deutschland entwickelt sich zu einer globalen Wirtschaftsmacht. Die Gestaltung einer Energiepolitik gehört in der Moderne zu den existenziellen Grundlagen einer Gesellschaft und ist zentraler Bestandteil der deutschen Außen- und Wirtschaftspolitik.

Deutschland muss sich positionieren. Welche Strategien und Instrumente zur Durchsetzung der eigenen energiepolitischen Interessen sind realistisch, erfolgreich und verantwortungsbewusst einsetzbar?

Die Situation in der Weltwirtschaft ist in den letzten Jahrzehnten instabiler geworden. Das 21. ist aus energiepolitischer Sicht ein besonderes Jahrhundert. Einerseits spitzen sich die Verteilungskonflikte um die Rohstoffund Energieressourcen zu. Die Situation bewegt sich in Richtung einer Destabilisierung der Umweltsituation und eines Weltwirtschaftskrieges. Andererseits ist eine dauerhafte Lösung der Energieproblematik in den nächsten Jahrzehnten sichtbar und real.

Außenpolitische Aspekte

Aus dem historischen Rückblick ergeben sich in der Neuzeit zwei qualitative Einschnitte in der Weltpolitik, welche die Energieproblematik, insbesondere für die westlichen, seit Jahrhunderten global dominanten Staaten, grundlegend veränderten:

Erstens: Die Auflösung der französischen und britischen Kolonialreiche im arabisch-islamischen Raum brachte die staatliche, aber nicht die ökonomische Unabhängigkeit der neu entstandenen Staaten. Ab den 1960er Jahren wurden mit der Bildung der OPEC (1960) und OAPEC (1968) Organisationen geschaffen, die auf eine Nationalisierung der Erdölindustrie und die Schaffung einer ökonomischen Unabhängigkeit ausgerichtet waren. Sie kontrollierten über 80 % der Ölvorräte der westlichen Welt und begannen diese zur Durchsetzung ihrer außen- und sicherheitspolitischen Ziele einzusetzen.

Symptomatisch ist dafür die Erölkrise 1973-74. Die gesteuerte Öl-Verknappung wurde als ökonomisches Kampf-Instrument der arabischen OPEC-Staaten eingesetzt, um das Kräfteverhältnis im Nahen Osten zwischen der USA-gestützten, überlegenen Militärmacht Israels und den arabischen Staaten zu verändern. Die Ölkrise wuchs sich zu einer Weltwirtschaftskrise aus. Infolge dessen wurden langfristig wirksame Gegenmaßnahmen der hochentwickelten Industriestaaten eingeleitet (u.a. Diversifikation der Bezugsquellen, Neuaufschluss von Energieressourcen, Technologieprogramme für alternative Energien und Energieeinsparung, Schaffung von Ölreserven, Installierung und Unterstützung prowestlicher Regime).

Zweitens: Durch die Aufhebung des Ost-West-Konfliktes in den 1980er- 90er Jahren ist ein global neuartiges, politisches und ökonomisches Kräfteverhältnis entstanden. Die Marktwirtschaft bekam eine weltweite Ausdehnung. Insbesondere die Situation auf dem Doppelkontinent Eurasien veränderte sich grundlegend. Energiepolitisch überdeutlich sichtbar:

– Durch die Öffnung Russlands entstand ein global wirkender Rohstoff- und Energielieferant auf den Weltmarkt, der über die Angebotsseite die Versorgung und Preisgestaltung wesentlich mitbestimmt. Russland wird zur Energiegroßmacht, die nach gescheiterten marktwirtschaftlichen Versuchen, eine weitgehend staatliche Einflussnahme auf den Energie-Sektor ausübt. Diese konzentrierte Macht kann auch zur Durchsetzung nationaler politisch-ökonomischer Interessen eingesetzt werden.

– Die beschleunigte Entwicklung Chinas (1,3 Mrd. Bevölkerung, BIPWachstum 7-10 %) und Indiens (1,1 Mrd. bzw. 3-5 %) schafft an den Weltmärkten seit ca. einem Jahrzehnt gigantische Nachfragekräfte. Beide Staaten betreiben eine offensive, zunehmend globale Außen- und Sicherheitspolitik, die auf die Realisierung ihrer wirtschaftlichen Interessen ausgerichtet ist.

– Die Entstehung selbständiger (aber instabiler) Staaten in der Energie- Region Mittelasien, rund um das Kaspische Meer. In diesem Raum existiert ein größeres Energiepotenzial, als in der Nordsee und es weist nach der Golfregion die größten Wachstumsmöglichkeiten auf. Alle Großmächte ringen um Einfluss in der Region. Es kommt zu erbitterten markwirtschaftlichen Verteilungskämpfen.

Die kontinentale Insel-Großmacht USA, territorial, traditionell und kulturellweit entfernt von den Zentren Eurasiens und Arabiens, gerät durch die Gesamtentwicklung in eine isolierte Lage. Die traditionelle Geopolitik erfährt in Form der Geoökonomie eine Renaissance. Während die US-Politik unter Clinton noch von einer damit verbundenen Ökonomisierung der Politik geprägt war, verfolgt sein Nachfolger Bush eine primär militärische Geostrategie zur Durchsetzung der ökonomischen, insb. energiepolitische Ziele. Aus dieser Situation und dem Versuch, eine überholte globale Dominanzposition durchzusetzen, erwachsen Konflikte und Niederlagen für die amerikanische Großmacht. Sie verfügt, bei nüchterner Betrachtung, auf dem nordamerikanischem Kontinent, gemeinsam mit dem rohstoffreichen Kanada (175 Mrd. Barrel Ölsand; größte Weltreserven nach Saudi-Arabien), über ausreichende Energieressourcen sowie technologische Potentiale, für eine stabile Eigenentwicklung. Eine zunehmende Militarisierung der US-Außenpolitik zur Sicherung der Energiebasis für die eigene Volkswirtschaft (u.a. Nahost/Irak, Kaspischen Raumes, Venezuela), entbehrt einer zwingenden Grundlage.

„In einer Welt wachsender gegenseitiger Abhängigkeit wird Energiesicherheit sehr davon abhängen, wie Staaten ihre Beziehungen handhaben. Deshalb wird Energiesicherheit eine der wichtigsten Herausforderungen der Außenpolitik in den kommenden Jahren sein. Öl und Gas waren immer schon politische Rohstoffe. Aber heute sind sie politischer als in den vergangenen Jahren.“
Daniel Yergin, Energiespezialist, Autor des Buches „Der Preis“, Spiegel spezial 5/2006

Die EU und Deutschland befinden sich geoökonomisch in einer ambivalenten Situation. Einerseits verfügt Mittel- und Westeuropa nicht über ausreichend natürliche Energieressourcen für eine mittelfristige Eigenversorgung. Andererseits hat diese Region, im Vergleich mit den meisten anderen Weltregionen, eine hervorragend günstige Lage, mit ihrer Nähe zu den reichsten Energieregionen der Welt: im Norden bis zur Arktis eigene Öl- und Erdgasvorkommen, im Osten der strategische (Energie)Partner Russland, im Südosten die Öl-Region Nahost und der Erdgasgigant Iran, im Süden das gas- und ölreiche Nordafrika sowie im Westen der transportoffene Zugang zu den Weltmeeren.

Um diese günstigen Faktoren zu nutzen und die Nachteile zu kompensieren, ist eine komplexe und aktive Kooperations- und Nachbarschaftspolitik der EU notwendig. Auf Grund der neuralgischen Rolle des Energieproblems für die Eigenentwicklung, orientiert Deutschland zunehmend auf eine „Energie-Außenpolitik“, wie Außenminister Steinmeier mehrfach dezidiert betonte. Die Notwendigkeit einer engen praktischen Verflechtung von Außenund Wirtschaftpolitik wird zum Programm.

Wirtschaftspolitische Betrachtungen

Die Hauptziele der ökonomischen Politik Deutschlands, eingepasst in die europäische Integration, sind die Erhaltung und Mehrung des Wohlstandes und der Lebensqualität der Bevölkerung, bei Stabilität der wirtschaftlichen Entwicklung. Existenzielle Vorraussetzung und Schlüsselfaktor des Funktionierens unserer wachstumsorientierten Volkswirtschaft ist dabei die langfristige Energieversorgung und -sicherheit.

Seit der Industrialisierung Deutschlands Mitte des 19. Jahrhunderts wächst seine Wirtschaftskraft, schafft es Produkte weit über die Eigenversorgung hinaus und bedarf für deren Herstellung und Marktrealisierung internationaler Wirtschaftsbeziehungen. Hauptenergieträger waren damals insbesondere die heimische Stein- und Braunkohle, Wasserkraft und Holz. Die dynamische Durchsetzung der Elektrifizierung, der Energie-Fernübertragung und der Entwicklung von Braunkohle-Wärmekraftwerken in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts schufen eine gewaltige, staatlich kontrollierte Energiewirtschaft und brachten einen deutlichen Aufschwung für die deutsche Wirtschaftsentwicklung. Nach dem Zweiten Weltkrieg sanken die Anteile von Kohle in den BRD-Energiebilanzen zugunsten von Öl, Erdgas und Kernenergie. Der Anteil fester Brennstoffe ging von 1950 bis 1990 von ca. 80 auf 10% zurück. In der DDR behielt Braunkohle mit fast 75% den dominanten Anteil.

Für die anhaltende Wirtschaftsentwicklung ist die Erschließung der internationalen Beschaffungs- und Absatzmärkte eine notwendige Bedingung. Zur Öffnung der Auslandsmärkte bediente sich Deutschland bis Mitte des 20. Jahrhunderts wesentlich militärischer Instrumente. Die durch Deutschland geführten Weltkriege von 1914-18 und 1939-45 konnten nicht die u.a. angestrebte Dominanzposition und Stabilität für die deutsche Wirtschaft bringen. Im Gegenteil, die jeweils neuen Ausgangspositionen waren ungünstiger als die vorher. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde ein grundsätzlicher Wechsel der Machtinstrumente von einer primär militärischen Komponente zu einer langfristigen politisch-ökonomischen Kooperations- und Integrationsstrategie vollzogen. Kernstücke waren die Politiken beider deutscher Staaten in den wirtschaftlichen Integrationssystemen Westund Osteuropas (EU und RGW) und die erfolgreichen Aktivitäten nach der deutschen Einheit zur Ausweitung der EU und der Schaffung einer strategischen (Energie-)Partnerschaft mit Russland. Dies war umso notwendiger, als die Importabhängigkeit Deutschlands im Energiebereich bislang weiter ansteigt. Von 1995 bis zur Gegenwart von ca. 55 auf 61%.

Mit Blick auf die Zukunft verfügt Deutschland über relativ stabile internationale Lieferquellen, eine gediegene eigene Technologiebasis und deutliche Potenzen zur Energieeinsparung. Davon ausgehend, werden sich in den nächsten Jahren die Steigerungen der Energiepreise in Deutschland, sofern keine dramatischen internationalen Konflikte entstehen, überschaubar gestalten.

(1) Fossile Energien. Die fossilen Quellen behalten in den nächsten zwei bis drei Jahrzehnten ihre dominante Rolle bei der internationalen Energieabsicherung der deutschen Volkswirtschaft. Die Reichweite der Ressourcen wird dabei sehr unterschiedlich bewertet. Während Kohle für 100-500 (einige Quellen 1.400) Jahre ausreichend vorhanden ist, sind die bisherigen Vorstellungen, über unmittelbar verfügbare Erdöl- und Ergasvorräte auf 20-70 (150-200) Jahre begrenzt. Möglicherweise ist der Höhepunkt („Peak“) der Öl-Produktion schon erreicht bzw. überschritten. Die Folge sind nachhaltig hohe Preise am Weltmarkt. Im Bereich Kohle hat Deutschland hochentwickelte Fördertechnologien entwickelt, die ein exzellentes Exportpotenzial beinhalten. Darüber hinaus sind Kohlekraftwerke in der Entwicklung und im Bau, die einen sehr niedrigen (bzw. keinen) CO2-Ausstoß aufweisen sollen und somit diesem Energieträger, bei einer zu erwartenden Stabilisierung der Entwicklung der Öl- und Gaspreise auf hohen Niveau am Weltmarkt, wieder eine wirtschaftliche Zukunft öffnen könnte.

(2) Kernkraft. Deutschland verfügt auf diesem technologischen Gebiet über eine Führungsposition. Diese darf nicht aufgegeben werden. Hier liegt eine besondere globale Verantwortung Deutschlands. Sie ist, insbesondere mit Blick auf die bislang ungelösten Probleme der technischen Sicherheit der ca. 440 weltweiten Kernkraftanlagen und der Entsorgungssituation des radioaktiven Materials wahrzunehmen. Die Grundsatzentscheidung – Ausstieg aus der konfliktbeladenen Atomenergie – steht dabei außer Frage. Der Streit um die konkreten Laufzeiten ist, bei einem Grundverständnis eines 30-Jahre- Ausstiegsszenarios, von untergeordneter Bedeutung und flexibel zu betrachten. Fiktive Versorgungsprobleme werden in diesem Zeitraum, im Zusammenhang mit dem Erfolg alternativer Energiequellen gelöst.

(3) Alternative Energietechnologien. Auch in diesem Bereich besitz Deutschland im internationalen Vergleich konkurrenzfähige Positionen. Das betrifft in besonderer Weise die Solar- und die Windenergie. Bei den längerfristig relevanten regenerativen Energien, wie den Biokraftstoffen (Sun- und Rapsdiesel, Bio-Ethanol und -Methan), der Geothermie, den Wellen- und Gezeitenkraftwerken sowie der Wasserkraft sind bemerkenswerte, ausbaufähige Positionen vorhanden. Der Anteil der alternativen Energien an der Versorgung wächst in den letzten Jahren überproportional, beträgt z.Z. ca. 3-5 % (Stromversorgung 9-10 %) und verdoppelt sich alle zehn Jahre. Hier öffnet sich ein Zeit- und Entwicklungshorizont, der diese Energien in den nächsten 20-30 Jahren zu einem Hauptfaktor der volkswirtschaftlichen Versorgung werden lässt. Sie sind potentiell in der Lage, die Kernkraft abzulösen und andere Bereiche deutlich zu entlasten. Es geht dabei insbesondere um eine deutliche Minderung der importierten Energieträger, die Deutschland aus dauerhaft instabilen Konfliktregionen bezieht. Letztlich, geht es um die Unabhängigkeit von diesen Quellen.

(4) Energieeinsparung. Die dauerhafte Stabilisierung und Senkung des Energieverbrauchs, bei gleichzeitig wachsender Produktion sind für Deutschland als Hochtechnologieland eine vorrangige Komponente der Energiepolitik. Der Einstieg in diese Entwicklung ist in den 1990er Jahren gelungen. Während der Primärenergieverbrauch von 1950-1973 kontinuierlich anstieg, ging er mit der ersten (1973) und zweiten (1982) Ölkrise zeitweilig zurück. Den Durchbruch brachte das Jahrzehnt nach dem Umwelt gipfel von Rio de Janeiro (1990-2000 – 4,9%). Von zentraler Bedeutung sind dabei insbesondere die Entwicklung energiesparender Produktionsverfahren und Verkehrstechnologien, die Modernisierung der Kraftwerke und die Wärmedämmung beim Hausbau.

(5) Geografische Diversifizierung. Bis zur ersten Ölkrise 1973 importierte die Bundesrepublik über 95% ihres Erdöls aus den OPEC-Staaten. Danach wurde eine strategische Diversifikation eingeleitet. Heute drittelt sich der deutsche Öl-Import zwischen OPEC, Russland und EU-Eigenaufkommen. Darüber hinaus wurde eine Reservewirtschaft aufgebaut und der technologische Fortschritt zur Energieeinsparung vorangetrieben. Von einer wachsenden Abhängigkeit Deutschlands von Russland, wie manchmal zu hören ist, kann keine Rede sein. Seit der Hanse-Zeit, bezieht Europa Roh- und Energiestoffe im Tausch gegen Technologieprodukte aus diesem Großraum. Russland war, gerade in Bezug auf Deutschland im 20. Jahrhundert immer ein verlässlicher Partner in der Rohstoffversorgung. Das gilt für die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, als auf der Grundlage des Rapallo-Vertrages von 1922 stabile Wirtschaftbeziehungen entwickelt wurden; wie auch für die Zeit der Ost-West-Konfrontation, in der die DDR und ab den 1970er Jahren auch die Bundesrepublik mit Erdöl versorgt wurden. Es gibt keinen rationalen Grund heute, unter marktwirtschaftlichen Rahmenbedingen und gewachsenen gegenseitigen Abhängigkeiten, daran zu zweifeln.

Insgesamt ist es Deutschland in den letzten Jahrzehnten mit Bezug auf die Energiesicherheit gelungen, seine wirtschaftlichen Zielstellungen zu erreichen. Die Energieversorgung der Bevölkerung und der Wirtschaft ist stabil gewährleistet, die Bezugsquellen wurden diversifiziert, alternative Energien werden im Rahmen eines stabilen Energie-Mix entwickelt und der primäre Energieverbrauch sinkt.

Militärpolitische Überlegungen

Seit der deutschen Einheit hat sich die militärpolitische Lage Deutschlands grundsätzlich verändert. Demgemäß wurden 1992 und 2003 Verteidigungspolitische Richtlinien und 2006 ein Weißbuch verabschiedet, die dieser veränderten Situation Rechnung tragen sollen. Auf dieser Grundlage werden die Aufgaben und Einsatzgrundsätze der Bundeswehr bestimmt. Die multinationale Einbindung im Rahmen der Vereinten Nationen, NATO und EU ist dabei ein „konstitutives Merkmal“.

In der Energiepolitik werden die westlichen Demokratien von ihrer Vergangenheit eingeholt. Das Pendel schlägt zurück. Die Fehler und Sünden der kolonialen Vergangenheit und der Machtpolitik der letzten Jahrzehnte entfalten ihre tödlich-terroristischen Wirkungen in der Gegenwart.

Beispiel 1: Die westliche, vor allem die US-amerikanische, britische und israelische, Nahostpolitik seit Mitte des 20. Jahrhunderts, mit Ausstrahlung auf die islamisch geprägte Staatenwelt, kann im Wesen als gescheitert betrachtet werden. Der über 50-jährige offene Nahostkonflikt ist dauerhaft. Eine Lösung ist nicht absehbar und lässt sich in der Zeitdimension des 21.und 22. Jahrhunderts erhoffen. Eine stabile Energieversorgung aus dieser Region ist in den nächsten 20 bis 30 Jahren mit unkalkulierbaren Risiken belastet und eher unwahrscheinlich.

Europa ist den daraus entstehenden regionalen Krisen in seiner Peripherie betroffen. Die deutsche Wirtschaft bekommt ca. 23% des Erdöls aus Nordafrika (15 %) und Nahost (8%) und ist an der Sicherheit der internationalen Transportwege, speziell der „neuralgischen Punkte“ interessiert. In diesem Kontext ist der sinnvolle (weltweite) Einsatz deutscher Streitkräfte bei der Wahrnehmung von Sicherheits- und/oder Energie-Interessen, kritisch zu betrachten. Seit 1998 waren und sind über 200.000 Soldaten der Bundeswehr, rotierend im Auslandseinsatz: in Afghanistan, im Kosovo, in Bosnien-Herzegowina, Georgien, Usbekistan, am Horn von Afrika, in Äthiopien/ Eritrea, Sudan, Kongo und Gabun sowie beim Nato-Flottenverband Mittelmeer und vor der Küste des Libanon. In den Irak-Kriegen hat sich Deutschland 1990 herausgehalten und 2003 der USA-Politik verweigert. Slogans wie „Deutschlands Verteidigung beginnt am Hindukusch“ sind in dem Zusammenhang äußerst fragwürdig.

Beispiel 2: Die Aufrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik im Rahmen des Ost-West-Konfliktes missachtete im Wesen die Interessenlagen der Entwicklungsländer. Sie wurden in Stellvertreterkriege und -konflikte verwickelt und ihre finanziellen und materiellen Ressourcen verschwendet (u.a. hohe Rüstungshaushalte, Waffenhandel). Besonders zugespitzt zeigt sich die Situation im nuklearen Bereich. Der 1968 zwischen den damaligen Kernwaffenstaaten ausgehandelte Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen (NPT) verpflichtete die Staaten ohne Kernwaffen, sich diese nicht anzuschaffen. Im Gegenzug sollten Verhandlungen zur Einstellung des nuklearen Wettrüstens, zur nuklearen Abrüstung und zur allgemeinen Abrüstung geführt werden. Die gegenseitigen, z.T. als diskriminierend verstandenen Verpflichtungen wurden vor allem von den nuklearen Großmächten nicht eingehalten.

Mit der technologischen Entwicklung entstanden immer mehr Kernwaffenstaaten, u.a. Indien, Pakistan, Israel, Nordkorea. Die scheinbar absolute Macht und Sicherheit nuklearer Waffen – die USA haben als einziger Staat die Atomwaffe eingesetzt – treibt weitere Staaten auf diesen Weg (z.B. Iran). Der dualistische, energiepolitische und militärische Charakter der Nukleartechnologie gestaltet die Kontrolle kompliziert. Deutschland hat damit als industrieller Großstaat eine verantwortungsbewusste Vorbildfunktion im militärtechnologischen und ökonomischen Sinne übernommen. Diese Entscheidungen gehen einher mit einer grundlegenden Änderung deutscher Gesamtpolitik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Hauptorientierung auf nichtmilitärische, friedlich-marktwirtschaftliche Integration in Europa gewährleistet einen bislang historisch einmaligen Aufstieg Deutschlands in der Weltwirtschaft, einen nachhaltigen Wohlstand der Bevölkerung und stabilisiert die Entwicklung der Nachbarstaaten. Damit erweitert sich auch der internationale Einfluss und Handlungsspielraum Deutschlands.

Deutschland traf im nuklearen Bereich zwei Grundsatzentscheidungen:
1. Verzicht auf Kernwaffen; 1969 traten die BRD und die DDR dem Non Proliferation Treaty (NPT) bei
2. Ausstieg aus der Atomenergie; 2000 nach jahrzehntelanger Diskussion.

Schlussfolgerungen

Energiepolitik ist ein zentrales Element der Außen- und Sicherheitspolitik der EU und Deutschlands. „Energie-Außenpolitik“ ist der Schlüsselbegriff. Dies erfordert sicherheitspolitische und technologische Taten im Rahmen einer intelligenten Politik nach innen und außen. Dem gemäß gilt es, eine gemeinsame gegenseitig vorteilhafte Energiepolitik der EU zu entwickeln. Sie ist eine Grundbedingung der weiter erfolgreichen sozialen Entwicklung auf unserem Kontinent.

Europa und Deutschland brauchen einen „militärischen Angriff auf ihre Grenzen nicht mehr zu fürchten. Die strategischen Herausforderungen liegen heute sämtlich jenseits der alten Beistandszone des Nordatlantik-Paktes. Und sie erfordern primär keine militärischen Antworten“, so Gerhard Schröder auf der Sicherheitskonferenz in München am 12. Februar 2005. Die Geschichte zeigt, Energieversorgung und Energiesicherheit sind militärisch nicht zu erzwingen.

Deutschland ist dabei, ein langfristiges kooperatives Energiekonzept zu entwickeln. Gute Erfahrungen und Praktiken seit Mitte der 1970er Jahre liegen vor. Dabei geht es um einen ausgewogenen Energie-Mix und zeitlich realistische Übergänge, die Vermeidung einseitiger geoökonomischer Abhängigkeiten, die Konzentration auf das eigene Territorium und europäische „sichere“ Nachbarregionen, die besondere Beachtung alternativer Energien und der Kohle, letztlich um die Vision einer energetischen Unabhängigkeit Europas und Deutschlands.

Der Beitrag erschien zuerst in Kleinwächter, Lutz (Hrsg.): Deutsche Energiepolitik; Potsdam: Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung 2007.

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