Am 15. Februar 2023 richtete das kommunalpolitischen Forum Land Brandenburg e.V. und die Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg eine Veranstaltung zum Thema (De-)Globalisierung aus. Vortragender Kai Kleinwächter.
Zu dieser Veranstaltung drei Thesen:
1. Analytische Grundlage von Karl Marx und Friedrich Engels
Das heutige Denken über Globalisierung beruht wesentlich auf den Analysen von Marx und Engels. Insbesondere im „Kommunistischen Manifest“ von 1848 finden sich Aussagen, die noch heute Grundlage der westlichen Vorstellung von Globalisierung sind. Den Begriff „Globalisierung“ verwenden sie allerdings nicht. Dieser setzt sich erst in den 1980er Jahren durch.
„Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muss sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen.
Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumption aller Länder kosmopolitisch gestaltet. […] Die uralten nationalen Industrien sind vernichtet worden und […] werden verdrängt durch neue Industrien, deren Einführung eine Lebensfrage für alle zivilisierten Nationen wird, durch Industrien, die nicht mehr einheimische Rohstoffe, sondern den entlegensten Zonen angehörige Rohstoffe verarbeiten und deren Fabrikate nicht nur im Lande selbst, sondern in allen Weltteilen zugleich verbraucht werden.
An die Stelle der alten, durch Landeserzeugnisse befriedigten Bedürfnisse treten neue, welche die Produkte der entferntesten Länder und Klimate zu ihrer Befriedigung erheischen. An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander. […] Die geistigen Erzeugnisse der einzelnen Nationen werden Gemeingut. Die nationale Einseitigkeit und Beschränktheit wird mehr und mehr unmöglich, und aus den vielen nationalen und lokalen Literaturen bildet sich eine Weltliteratur.“
Karl Marx und Friedrich Engels (1848)
Für beide Denker lag die primäre Ursache dieses Prozesses in der kapitalistischen Ökonomie. Der innere Zwang zur Ausdehnung der Produktionsstrukturen führt immer stärker zur Herausbildung von Weltmärkten. Entsprechend beschreiben Marx und Engels diesen Prozess vor allem als ökonomische Entwicklung. Aber sie zeigen bereits deutlich auf, dass die Folgen weit über die Ökonomie hinaus reichen. Mit den globalen Wirtschaftsstrukturen entsteht auch eine globale Politik und Kultur. Die wiederum treiben die Prozess der Internationalisierung weiter an.
Das marxistische Erbe bleibt wichtig – aber in der Gegenwart müssen weitergehende Fragen gestellt werden. Einige sind:
=> Wie weit sind Globalisierung und Kapitalismus (noch in Zukunft) miteinander gekoppelt? Gibt es auch eine Globalisierung jenseits kapitalistischer Dynamiken? Oder gilt: Kein Kapitalismus – keine internationale Wirtschaft – Keine Globalisierung?
=> Sind diese Theorieansätze objektiv oder ist es „nur“ eine westliche Sichtweise – abgeleitet aus den europäischen Denk- und Geschichtskonstruktionen? Haben bzw. entwickeln die anderen Zentren (China, Indien, Afrika…) andere Theorie? (Möglicherweise sogar leistungsfähigere?)
=> Wie weit geht die Herausbildung der internationalen Kultur? Verschwinden die nationalen Kulturen zugunsten eine Weltzivilisation? Oder gibt es (vorübergehende? permanente? Grenzen der Verschmelzung?
=> Betrifft dieser Prozess alle Volkswirtschaften gleichermaßen oder gibt es unterschiedliche Niveaus der Globalisierung? (Als bewusste Entscheidung, als abgehängte Peripherie?)
=> Wenn die Globalisierung umfassend wird, gibt es dann überhaupt noch nationale Politiken, Interessen, Klassen, Konzerne …?
2. Phasen der Globalisierung
In Fortführung der geistigen Grundlagen wird der Grad der Globalisierung primär anhand ökonomischer Indikatoren bestimmt. Meist wird dafür der Umfang des Außenhandels im Verhältnis zur Wirtschaftskraft genutzt.

Nach diesem Ansatz gibt es mehrere Phasen der Globalisierung.
Phase 0: Vormoderne (bis 15. Jh.)
- Geringe Bedeutung Außenhandel, Beschränkung auf Luxusgüter und regionale Handelsstrukturen
- Aber es existieren Jahrtausende alte Handelsrouten quer durch Afrika, Asien und Europa. Sie sind die Grundlage der späteren Entwicklungen.
- Zivilisationszentren weder politisch noch kulturell verbunden
Phase 1: Kolonialismus (15. bis 18. Jh.)
- Wachsende Bedeutung Außenhandel
- Entstehung globaler Handelswege und ökonomischer Verflechtung
- Dominanz Europas / Beziehungen Zentrum-Peripherie
Phase 2: Infrastruktur + Weltmarkt (1815 – 1913)
- Schnelle Zunahme Handel inkl. internationaler politisch-kultureller Verflechtungen
- Errichtung dauerhafter globaler Infrastrukturen (Linienschifffahrt, Eisenbahnnetze , Telegrafenverbindungen …)
- Unser Bild von Globalisierung entsteht: Von manchem auch als 1. Phase bezeichnet)
- Erste Staaten außerhalb Europas beginnen eigenständige Teilhabe am internationalen Handel (ehemalige Kolonien wie die USA aber erste Staaten außerhalb des Westens, insb. Japan)
- kontinentale Durchdringung der Landmassen in Asien (Expansion Russland und China inkl. Niedergang der Steppenvölker), Afrika (Kolonialismus) und Nord- bzw. Südamerika
Phase 3: Entflechtung (1914 – 1970/80er)
- Klassische Indikatoren zeigen Entflechtungen von Wirtschaft und Gesellschaft
- Aber Eroberung Territorien bzw. Bildung von Allianzen weit über nationale Grenzen
- geht einher mit wirtschaftlichen Niedergang und (Welt-)Kriegen
- Aber auch wirtschaftliche Blütephasen insb. in Südamerika
- Seit 1945 politische Globalisierung bei wirtschaftlicher Regionalisierung
Phase 4: Hyperglobalisierung (1980er – 2008)
- Beschleunigte Globalisierung in allen Dimensionen
- Durchsetzung eines globalen kapitalistischen Systems in diversen Spielarten
- Regionen außerhalb des Westens finden den zivilisatorischen Anschluss
Phase 5: Slowbalization?? (Seit 2008)
- Kein eindeutiges Bild:
- Einerseits: Zunahme Verflechtungen insb. im Rahmen Süd-Süd-Austausch und nicht ökonomischer Faktoren (Anzahl globaler Touristen, Anzahl Migranten, Zugang zu globalen Informationssystemen …)
- Andererseits: Klassische Indikator Außenhandel zeigt Stagnation teilweise sogar Rückgang Globalisierung; Internationale Organisation erleben schwer Krisen bis zur Handlungsunfähigkeit
3. Offene Zukunft
In der näheren Zukunft sind mehrere Szenarien möglich. Sie reichen über eine neue multilaterale Weltordnung bis hin zu einer regionalisierten Welt in Dauerkrise. Letzteres wäre das schlechteste aller Szenarien.
Die Diskussion um die Zukunft läuft. Schwerpunkt muss die menschliche Entwicklung sowie Lösung der globalen Probleme sein. Lösungen müssen mit den anderen Zentren entwickelt werden. Der Westen ist noch wichtig – aber nicht mehr alleine führend.
Weitere Informationen zum Urheberrecht unter Kontakt/Impressum/Lizenz.
Bei Interesse können die statistischen Daten für die Grafiken per Mail zugesandt werden.
https://orcid.org/0000-0002-3927-6245