Zur deutschen Außenpolitik nach den Wahlen

Verantwortung angesagt!

Kein neuer Aufbruch, keine Richtungswahl! Die Wahlen zum Deut­schen Bundestag brachten eine fragile Parteienlandschaft von großen und kleinen Verlierern in Pattsituationen hervor. Politisch und ökono­misch quälende Kontinuität, inkonsequente Fortschritte mit faulen Kom­promissen eines „Weiter so“ bestimmen die absehbare Übergangsära. Als Kanzler verlängert ein wandlungsfähiger Olaf Scholz erstmal die konser­vative Phalanx Schmidt, Kohl, Schröder, Merkel. Ist Deutschland damit reif für globale Politik?

Die Welt ist im Umbruch. Dramatische machtpolitische Verschie­bungen im multipolaren Staatenkonzert und sich zuspitzende globale zivilisatorische Konfliktfelder prägen die internationale Gesamtsituation. Im Gegensatz dazu spielten im Wahlkampf und in der laufenden Koali­tions- bzw. Regierungsbildung die Außen- und Sicherheitspolitik keine wesentliche Rolle. Notwendige tiefgehende, z.T. radikale Initiativen und durchsetzungsfähige Veränderungen – Fehlanzeige.

Lobbygruppen, Strategieinstitute und Leitmedien versuchen, mas­siv Einfluss auf die künftige Außenpolitik der Regierung zu nehmen. Deutlich verstärken sich die Auseinandersetzungen zwischen den pro-USA orientierten „Transatlantikern“ (DGAP-Aktionspläne, September 2021) und den eine strategische Autonomie der EU/Deutschlands im Rahmen einer multipolaren Weltordnung anstrebenden „Europäern“ (SWP-Studie, September 2021; Bertelsmann-Globalisierungsszenarien, August 2021). Widersprüchliche Einflüsse grüner und gelber Prägungen in der künftigen Regierungskoalition werfen – trotz der eklatanten Wahl­niederlage der Unionsparteien und angesichts des knappen SPD-Erfolgs – erhebliche Zweifel hinsichtlich einer nachhaltigen Durchsetzung EU-/deutscher Interessen in einer kooperativen Außen-, Friedens- und Klimapolitik auf. Eine Enttäuschung der jungen Generation scheint vorprogrammiert.

Der künftige Kanzler ist gut beraten, die Leitlinienkompetenz der Bezie­hungen zu den Hauptakteuren dieser Welt – EU-Staaten, USA, China, Russland – beim Bundeskanzleramt zu belassen und im Gegensatz zu vor­herigen Regierungen qualifizierte (!) MinisterInnen, insbesondere in der Außen- und Verteidigungspolitik, einzusetzen. Grundsatzentscheidungen sind konsequent durch eine breite Mehrheit des Bundestages demokra­tisch abzusichern.

1. Ein zentraler Schwerpunkt der kommenden Regierungsarbeit wird die regionale Umsetzung und globale Aktivierung des Pariser Klima­abkommens sein. Gewaltige, zwingende Veränderungen in den Berei­chen Energie, Verkehr und Digitalisierung – eine neue, nahezu alle Lebensbereiche durchdringenden Daseinsweise – sind erforderlich. Das seit Jahrzehnten vorhandene Gefahrenbewusstsein kollidiert dabei mit einer deutlich verzögerten Handlungsbereitschaft im nationalen wie internationalen Bereich. Konfrontationspolitik, Sanktionen sowie offene und verdeckte Konzepte eines regime change verschleppen den anstehenden Paradigmenwechsel. Ohne China, Russland und Indien sind die multiplen Umweltkrisen nicht einzudämmen.

2. Auch unter der neuen Regierung bleiben Bündnisprobleme in der EU latent. Die zentrifugalen Tendenzen – angesichts der missratenen Flüchtlingspolitik, dem Brexit und den zunehmend autoritären Zügen in der Staatspolitik – müssen durch intensiven Dialog und aktive Projekte eingedämmt werden.

Notwendig ist eine europäische Stabilisierungsphase. Kernstück ist dabei die Ausweitung der Integration mit Frankreich. Gleichzeitig ist eine unaufgeregte verstärkte Kooperation mit Polen (Reaktivierung des „Weimarer Dreiecks“) und den osteuropäischen EU-Staaten angesagt. Die gescheiterte EU-Nachbarschaftspolitik im Osten und Süden bedarf eines konzeptionellen Neuansatzes.

3. Die USA sind und bleiben ein enger Bündnispartner. Die Gesamtheit der gegenseitigen Beziehungen unterliegt spätestens seit dem „Trump- Schock“ der Umbewertung. Eine Orientierung hin zu „strategischer Unabhängigkeit“ und einer konsequenten Friedens- und Abrüstungs­politik sind notwendig. Die SPD-geführte Regierung bietet dafür bessere Möglichkeiten als die auslaufende Merkel-Zeit. Das zwanzig­jährige Afghanistan-Fiasko sollte den ideologisch aufgeladenen grünen Bellizismus ausbremsen und auch die eklatante Widersprüchlichkeit zur Umweltpolitik offenbaren.

4. Der eurasische Doppelkontinent bietet für die ökonomische und ökologisch-technische Kooperation der EU/Deutschlands mit Russland, China und Indien hervorragende Zukunftsoptionen.China ist als Handelspartner unverzichtbar für Deutschland. Das Ver­ständnis als „Systemgegner“ ist im Denken der Ewiggestrigen angesie­delt. Ähnlich verhält es sich mit den Energiebeziehungen zu Russland, die der EU/Deutschland zuverlässige Grundlagen für eine sozial-ökologische Wende garantieren. Jegliche Konfrontationspolitik à la „Demokratien vs. Autokratien“, in welcher Farbe auch immer, schadet den deutschen Inte­ressen.

Die alarmistisch ventilierten Dystopien eines Nuklearkrieges oder eines Klimakollapses der Weltzivilisation sind unrealistisch und desori­entierend. Gefragt ist eine realistische Politik der Kooperation und der technologischen Innovationen in einer instabilen multipolaren Welt. Die EU und dabei besonders Deutschland können hier Initiatoren schlüssiger Lösungsansätze sein.

Der Kommentar erschien 2021 zuerst in WeltTrends – Das außenpolitische Journal Nr. 181 Indo-Pazifik – Eine neue Konfliktzone. Er ist auch als PDF verfügbar.

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Bild (Startbild): Cover WeltTrends 181 (Ausschnitt). (c) WeltTrends.

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