Vom 23. bis 25. September tagte in Berlin der jährliche Kongress der Kommunisten – diesmal im geschichtsträchtigen Gebäude des Neues Deutschlands am Franz-Mehring-Platz. Leider beschränkt sich die Presse auf explizit linke Medien und kritische Medien. Einige Erkenntnisse insbesondere die Rolle der Oligarchen im Ukraine-Krieg und die Nicht-Bedeutung linker Kräfte in Osteuropa sollten breiter diskutiert werden. […]
Ergänzung zu den Positionen der ukrainischen Oligarchen
Insbesondere die Pläne für die Digitalisierung der ukrainischen Verwaltung zeigen, wie weit bereits für die Neugestaltung der Gesellschaft nach dem Krieg geplant wird. Auf einer Präsentation seiner Vision eines „state in a smartphone“ sagte der Digital-Minister der Ukraine. (Corbishley 2022):
„The Government needs to become as flexible and mobile as an IT company, to automate all functions and services, significantly change the structure, reduce 60% of officials, introduce large-scale privatization and outsourcing of government functions. Even in the customs. Only such a Government will be able to bring about quick and bold reforms to rebuild the country and ensure rapid development.“
Mykhailo Fedorov (Vice-Premierminister Ukraine und Digital-Minister; 2001)
Die Dominanz neoliberaler bis faschistischer Kräfte wird dabei auch von außen unterstützt. So werden diese Strömungen in westlichen Medien völlig verklärt und deren Radikalität nicht benannt. (Strether 2022)
Ergänzung zu politischen Einstellungen innerhalb Russlands
Ein sehr interessanter Artikel auf Telepolis von Peter Nowak zeigt die Vielfältigkeit der Positionen zum Ukrainekrieg in der russischen Gesellschaft. Ähnlich wie in der EU ist die linke Bewegung tief gespalten.
Ergänzung zu den Positionen linker Bewegungen
Es gab markante Thesen, über die nachzudenken ist. Interessanterweise waren die Einwürfe aus dem Publikum teilweise lehrreicher als Beiträge auf dem Podium. Insbesondere die Position der DKP in diesem „anti-faschistischen, anti-rassistischen und anti-imperialistischen Verteidigungskrieg“ (Renate Koppe) an der Seite Russlands zu stehen, wurde scharf angegriffen.
„… Die KPF steht fest auf den Boden der Revision.
Sie übt keine Kritik am System Putin.
Sie ging einen Burgfrieden mit der Bourgeoisie Russlands ein,
um den Krieg zu unterstützen …
wie Teile der LINKS-Partei in Deutschland. …“
„… [Wahre] Kommunisten gehen bei ihren politischen Forderungen vom Wohlstand der Menschen aus. Wie soll dieser Krieg die Situation der Arbeiterklasse verbessern?
Wird die Ukraine, wird Russland nach dem Krieg ein lebenswerteres Land sein? …“
„… Macht es einen Unterschied für die Völker, welcher Imperialismus den Krieg gewinnt? …“
„… Bei diesem imperialistischen Krieg hat niemand die Völker des Südens gefragt. Auch die kommunistische Partei Russlands hat das nicht getan. …“
„… Russland ist ein kapitalistisches Land und führt einen kapitalistischen Krieg.
Es ist nachranging, ob es ein Angriffs- oder Verteidigungskrieg ist.
Alle kapitalistischen Kriege sind falsch. …“
Wortmeldungen aus dem Publikum
Interessant war die Position Hofbauers – Pointiert fasst er diese in einem Artikel in Rubikon zusammen: „Es ist nicht unser Krieg!„
Ebenfalls sehr zu empfehlen ist eine Beschäftigung mit den Positionen von Erhardt Crome. Zum Ukrainekreig hat er im August diesen Jahres ein Buch veröffentlicht:
„Russlands ukrainischer Krieg. Die Ursachen und die Folgen“.
Lesenswert!
Ergänzungen aus dem Vortrag: Erhard Crome – Die USA nach den Zwischenwahlen. Kann Biden wie bisher weitermachen?
(Rosa-Luxemburg-Stiftung und WeltTrends am 29.11.2022)
Beim Vortrag äußerte sich Crome auch zum Zustand der linken Bewegungen in Europa. Nachdrücklich verwies er auf den Artikel „Der Krieg. Von Lateinamerika aus gesehen.“ von Prof. Valter Pomar. Der profilierte Intellektuelle ist u.a. auch Mitglied Vorstand der brasilianischen Arbeiterpartei (PT) von Präsident Lula da Silva.
Pomar argumentiert, dass sich die Linke entlang der gleichen politischen Bruchlinien wie im I. Weltkrieg spaltet.
„In der Debatte darüber, wie man sich angesichts des Krieges von 1914-1918 positionieren sollte, gab es in der Zweiten Internationale mindestens zwei Blöcke: eine Minderheit von ´Defätisten` und eine Mehrheit für die Unterstützung der Position der eigenen Regierung. Und diese Mehrheit wiederum teilte sich zwischen Anhängern der Entente und Anhängern der Mittelmächte auf.“
Prof. Valter Pomar (2022, S. 87)
Solche Brüche vollzogen sich u.a. zur Positionierung gegenüber dem Kolonialismus, den sowjetischen Militäreinsätzen nach dem 2. WK sowie zuletzt bei den US-geführten Kriege der letzten Jahrzehnte und jetzt beim Ukraine-Krieg. Diese Vielfalt resultiert aus den unterschiedlichen historischen Entwicklungen, ideologischen Positionen, ökonomischen Rahmenbedingungen sowie den vertretenen sozialen Gruppen. „Diese äußern sich wiederum in den jeweiligen Taktiken und Strategien, programmatisch und theoretisch.“ (Pomar, S. 88)
Dieser Bruch vollzieht sich auch in den peripheren Strukturen der Demokratiebewegung. So positioniert sich Compact klar gegen Aufrufe für den Frieden in der Ukraine währen change.org mit den wichtigsten Aufrufen eine Plattform gibt.
Zu dieser Vielfalt tritt noch ein anderes Phänomen. Prof. Raina Zimmering macht darauf aufmerksam, dass …
„Bei einer neuerlichen Blockbildung zwischen den USA und seinen Verbündeten auf der einen und Russlands und dessen Verbündeten sowie Chinas auf der anderen Seite im Gefolge des Ukraine-Krieges entsteht für Lateinamerika ein größerer Handlungsspielraum, was sich bereits in den vom Westen, aber auch von Russland abweichenden Meinungen über den Ukraine-Krieg zeigte.“
Prof. Raina Zimmering (2022, S. 83)
Das gilt nicht nur für Lateinamerika, sondern für den gesamten globalen Süden.
Folge dieser Spaltungen ist eine deutliche Schwächung linker Bewegungen – nicht nur in Osteuropa. Wahlstimmen teilen sich auf immer mehr Parteien auf. Endlose innere Querelen lähmen die politische Arbeit. Die Organisationen verlieren an Kraft zur Massenmobilisierung. Ebenfalls tragen Linke anti-soziale, ja sogar reaktionäre Beschlüsse mit und geben ihr eigenes Parteiprogramm auf.
Dieser Schwächung kann sich auch die LINKE in Deutschland nicht entziehen. Dagmar Enkelmann fasst die strukturellen Konflikte in einem sehr guten Interview zusammen. Gemünzt auf die Corona-Politik aber auch gültig für den Ukraine-Krieg, sagt sie…
„Statt konsequent Alternativen zu entwickeln, haben wir uns die Köpfe darüber heiß geredet, dass so viele Leute zu den falschen Kundgebungen gehen. Es ist uns nicht gelungen, mit den Menschen, die gezweifelt haben, die unsicher waren, die Fragen hatten, ins Gespräch zu kommen.“
Dagmar Enkelmann (Hübner 2022, S. 3)
Crome schloss seinen Vortrag mit einem zwiespältigen Gedanken. Etablierte linke Parteien – besonders die in Regierungen – sind oft nicht fähig, sich aus den Zwängen (kurzfristiger) Realpolitik zu befreien. Zu stark wirken die inneren Formelkompromisse. 1918 musste eine neue Partei gegründet werden, um auch in der SPD der Ideen „Frieden und Republik“ zum Durchbruch zu verhelfen.
Impressionen vom Kongress










Literaturverzeichnis
Corbishley, Nick (2022): Against Backdrop of War, Rolling Blackouts and Internet Outages. Ukraine Is Trying to Digitize Everything. Hg. v. nakedcapitalism.com.
Hübner, Wolfgang (2022): »Die Linke braucht dringend ein Kraftzentrum«. Interview mit Dagmar Enkelmann. In: neues deutschland, 24.11.2022, S. 3. Online verfügbar unter https://www.nd-aktuell.de/artikel/1168774.dagmar-enkelmann-die-linke-braucht-dringend-ein-kraftzentrum.html.
Pomar, Valter (2022): Der Krieg. Von Lateinamerika aus gesehen. In: Erhard Crome (Hg.): Zeitenwende? Der Ukraine-Krieg und die deutsche Außenpolitik : Texte vom Potsdamer Außenpolitischen Dialog 2022. Potsdam: WeltTrends, S. 87–95.
Strether, Lambert (2022): Normalizing Nazis at Vogue, MSNBC, and “America’s Largest Documentary Festival” (but not Catalonia). Hg. v. nakedcapitalism.com.
Zimmering, Raina (2022): Lateinamerika und der Ukraine-Krieg. In: Erhard Crome (Hg.): Zeitenwende? Der Ukraine-Krieg und die deutsche Außenpolitik : Texte vom Potsdamer Außenpolitischen Dialog 2022. Potsdam: WeltTrends, S. 71–86.
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Ein Gedanke zu “Die Ukraine, der Krieg und die Interessen der Oligarchen”