Joschkas Kinder: Annalena und die Außenpolitik

Ein Kommentar von Majd El-Safadi

Kaum wurde Annalena Baerbock zur ersten Kanzlerkandidatin der Grünen ausgerufen, konnte man in vielen Medien Lobeshymnen und Kotaus lesen. Baerbock ist „die Frau für alle Fälle“, „keiner kommt mehr an ihr vorbei“ (Spiegel). Sie ist ein „Politstar“ (taz). Die Zeit titelt „Die Überlegene“, der stern „Endlich anders“. Wie es um die Ausgewo­genheit des deutschen Politikjournalismus bestellt ist, sei dahingestellt. Aber wie würde die Außenpolitik unter einer Kanzlerin Baerbock und den wendigen Grünen aussehen? Einen kleinen Vorgeschmack liefert sie jüngst in einem Interview mit der FAS.

Im Wahlprogramm der Grünen steht, dass bewaffnete Bundeswehreinsätze ein UN-Mandat brauchen. Vor die Wahl gestellt, wie würde Baerbock entscheiden? Die Wahl zwischen Handeln und Nichthandeln sei manchmal eine „Entscheidung zwischen Pest und Cholera“, antwortet sie. Des Weiteren gelte es im konkreten Fall zu prüfen, „(…) ob [die Intervention] auf dem Boden des Völkerrechts steht.“ Die studierte Völkerrechtlerin betont die Bedeutung des Völkerrechts in den internationalen Beziehungen. So weit, so nachvollziehbar.

Jedoch offenbart sich hier ein Problem der Grünen. Für eine Partei, die Selbstkritik fordert, ist ein Blick in die Vergangenheit notwendig: Der völkerrechtswidrige Einsatz der NATO-Staaten im Kosovo 1999, der den Westen tief gespalten hat. War er es nicht der 68er-Revoluzzer Joseph Fischer in seiner Funktion als Außenminister, der die serbischen Menschenrechtsverletzungen in einen Zusammenhang mit Auschwitz brachte, als er auf einem Sonderparteitag der Grünen sagte: „Ich stehe auf zwei Grundsätzen, nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz, nie wieder Faschismus“? Damit warfen, so der Grünen-Biograph Ulrich Schulte treffend, die Grünen ihre „pazifistische Grundhaltung über Bord“ und tragen eine Mitverantwortung für einen „Dammbruch“, der bis heute nachwirkt.

Vom Bellizismus haben sich Teile der Partei sichtlich nicht erholt. Beispielsweise missbilligte Cem Özdemir Deutschlands Enthaltung während der Libyen-Intervention, ebenso äußerte sich Omid Nouripour, der die Enthaltung für eine Blamage hielt. Statt Selbstkritik konstatiert Baerbock, dass wir uns in einem „Wettstreit der Systeme: autoritäre Kräfte versus liberale Demokratien“ befinden. Das bedeutet in der Konsequenz: Nord Stream 2 hätte sie die „politische Unterstützung entzogen“ und China solle man mit „Dialog und Härte“ begegnen. Wie das umzusetzen sein soll, dazu findet man kein Wort.

Den gleichen Vorwurf muss sich Baerbock gefallen lassen, wenn sie fordert, ein „neues Kapitel“ in den transatlantischen Beziehungen aufzuschlagen. Eine Abkopplung von den USA wäre das „falsche Signal“, betonte sie in der SZ. Eine transatlantische Klimaallianz oder einen gemeinsamen Wirtschaftsraum zu schaffen, stellt sie in Aussicht, aber konkreter wird sie nicht. Die Krise des Transatlantismus wird dadurch nicht gelöst.

Wie soll die EU dem „Albtraum der Koalitionen“ entkommen und sich zwischen den drei Großmächten behaupten? Denn von der anvisierten „Weltpolitikfähigkeit“ ist die EU noch weit entfernt. Baerbock plädiert für ein europäisches Cyberabwehrzentrum, die Weiterentwicklung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, deutet vorsichtig eine europäische Armee („EU-Einheiten“) an und nähert sich somit Macrons europapolitischen Vorschlägen. Diese Armee, sofern sie denn realisierbar ist, solle vom Europäischen Parlament, einem zahnlosen Tiger, kontrolliert werden.

Ein robuster europäischer Militäreinsatz im Ausland scheint mit Baerbock möglich. Sie wirbt für eine „aktive“ deutsche und europäische Außenpolitik. Übersetzt: Deutschland solle mehr Verantwortung übernehmen und sich nicht „wegducken“. Damit gleicht sie ihrem politischen Ziehvater Fischer. Wie steht das im Verhältnis zur angemahnten „Friedensrolle“ Europas in der Welt oder Deutschlands Rolle als „moralische Supermacht“?

Mit den „Paradoxien unbedingter Wertebindungen“ (Münkler) in der Weltpolitik werden die Grünen umzugehen lernen. Mit moralinsaurer Hybris, fehlendem strategischem Machtrealismus und den ideologischen Scheuklappen des Kalten Krieges wird das nicht gelingen. Grüne Nebelkerzen ersetzen eben keine zeitgemäße außenpolitische Strategie. Droht eine olivgrüne Außenpolitik im wertegeleiteten Gewand?

Zum Autor Majd El-Safadi

geb. 1997, B. A. Geschichte, Politikwissenschaft und Soziologie, studiert im Master War and Conflict Studies an der Universität Potsdam, Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes und der Deutschlandstiftung Integration, Fulbright-Alumnus, WeltTrends-Redakteur.
majd.elsafadi@welttrends.de

Der Kommentar erschien 2021 zuerst in WeltTrends – Das außenpolitische Journal Nr. 176 „Südostasien – Region im Umbruch“.

Bildrechte

Bild (Startbild): Bucketsoldiers. Künstler: Maclapessoa. Lizenz: Creative Commons CC0 1.0 Universal Public Domain Dedication.

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