Das Fremdeln des Ostens mit den Konservativen

Die Beziehung der Ostdeutschen mit der CDU war schon immer wechselhaft. Es gibt eine Anekdote über Konrad Adenauer, in der behauptet wird, er hätte bei seinen Reisen in den Osten nach Überquerung der Elbe stets die Vorhänge mit folgender Begründung zugezogen: „Ich will die asiatische Steppe nicht sehen.

Aus dieser Perspektive ist es nicht überraschend, dass die großen Annäherungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR nicht von CDU-Kanzlern initiiert wurden, sondern vom SPD-Mann Willy Brandt. Deutlich wurde dies, als die Nachricht von der Vergabe des Friedensnobelpreises an eben jenen während einer Bundestagssitzung bekannt wird und die Mehrheit der Opposition in dem Moment schweigend sitzen bleibt.

Deutsche Einheit stärkte die Union

Erst mit der historischen Chance, Deutschland wieder zu vereinen, packte Helmut Kohl eine Gelegenheit beim Schopfe, die ihm einen festen Platz in den deutschen Geschichtsbüchern sicherte. Aber hinter dem 10-Punkte-Plan für die Wiedervereinigung bzw. Neuaufstellung Europas kann man bei Helmut Kohl nicht nur altruistische Motive vermuten. Es stand nicht gut um die CDU. Die Umfrageergebnisse für die Schwarz/Gelbe Koalition waren alles andere als berauschend.

Wäre im Jahr 1988 Bundestagswahlen gewesen, hätte die CDU ihre Macht verloren und Helmut Kohl neun Jahre früher seinen politischen Ruhestand einläuten müssen. Deutschland und Europa neu zu gestalten war ein risikobehafteter politischer Spielzug, der ein Stückweit dem Machterhalt Kohls und somit der CDU galt. Sein Plan ging auf. In allen neuen Bundesländern wurde die CDU bei der Bundestagswahl 1990 stärkste Kraft. Die erste Hälfte der 90er Jahre wurden die neuen Deutschen Bundesländer bis auf Brandenburg ausschließlich von der CDU geführt. Man könnte fast sagen: So einheitlich sozialistisch der deutsche Osten bis zur Wende war, so eindeutig konservativ war dieser danach.

Anhaltende Probleme Ostdeutschlands

Aber die heiße Liebe erlosch schnell. Der Systemwechsel brachte Ostdeutschland nicht nur (Reise-)Freiheit, Wohlstand und Infrastruktur. Mit der Wende war auch der Wegfall etlicher Arbeitsplätze zu beklagen. Eine Zeit großer Unsicherheiten hatte begonnen. Die Abwanderung aus den neuen Bundesländern nach Westdeutschland war enorm. Während die alten Bundesländer 30 Jahre nach der Wiedervereinigung ein Bevölkerungswachstum von 9 Prozent vorweisen, sank die Einwohnerzahl in Ostdeutschland um 15 Prozent.

Der Um- und Aufbau der Verwaltung, wurde in erster Linie über die alte Bundesrepublik organisiert. Nicht nur Ministerpräsidenten wie Bernhard Vogel kamen aus dem Westen. Ganze Stäbe von zuvorderst männlichen Mitarbeitern formten in Windeseile neue Strukturen in Staat und Privatsektor. Ziel der Maßnahme war Ostdeutschland einen Intensivkurs in Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Kapitalismus zu verpassen. Und es ist beileibe nicht so, dass es immer nur die westliche Creme de la Creme war, die das neue Ostdeutschland aufbauen sollte. Es war die Geburtsstunde des im Osten berühmt berüchtigten ´Besserwessi`, der Ostdeutschland ein Stück Selbstverantwortung und Identität raubte.

Verantwortung der CDU

Und was hat die CDU damit zu tun? Der Qualm des CDU-Versprechens der blühenden Landschaften trübte die Sicht auf die Schattenseiten, die mit der Wiedervereinigung einhergingen. Die dysfunktionale ostdeutsche Planwirtschaft war nicht mehr zu retten und westlichen Strukturen zum Teil himmelweit unterlegen. Zu deren Transformation wurde ein bürokratisches Monster Namens Treuhand geschaffen. Deren Aufgabe war es, dass  Volkseigentum der DDR in Privateigentum zu überführen. Aber anstatt ´den Laden wieder auf Vordermann zu bringen`, wurde in der wirtschaftsliberalen Zeit der 90er Jahre der Großteil der Unternehmen und Immobilien in atemberaubender Geschwindigkeit abgewickelt und zum Teil zu Spottpreisen verkauft. Das Ergebnis des Ausverkaufs:

85 % der veräußerten Werte aus der Treuhand waren plötzlich im privaten westdeutschen Besitz, 10 % in internationaler Hand und der klägliche Rest von 5 % wurde von Ostdeutschen erworben.

Geringe Vertretung Ostdeutscher

Hierfür trägt die Union politisch die Gesamtverantwortung und die Folgen sind sichtbar. Heute leben in Ostdeutschland ca. 15 Prozent der Gesamtdeutschen Bevölkerung. Demzufolge müsste statistisch dieser Anteil in auch in Topfunktionen in Wirtschaft und Politik vertreten sein. Hier eine Bestandsaufnahme:

(Weiterführende Literaturempfehlung: Dr. Jürgen Angelow: Entsorgt und ausgeblendet. Elitenwechsel und Meinungsführerschaft in Ostdeutschland. WeltTrends 2017.)

Über 30 Jahre nach der Wende ist die Situation im Osten immer noch nicht rosig. Aber auch die westdeutsche Wirtschaftsgeschichte ist kein unaufhaltsam stetiger Aufstieg gewesen. Im Gegenteil, die 80er Jahre waren alles andere als Wirtschaftswunderjahre. Es gab steigende Arbeitslosenzahlen, die Binnennachfrage stagnierte und Helmut Kohl hatte ähnlich wie sein Vorgänger kein wirklich erfolgversprechendes Konzept, diese wirtschaftlichen Probleme zu bewältigen. Das erklärt auch die Umfrageergebnisse von 1988. Die Wiedervereinigung war somit auch die Chance, neue Absatzmärkte für westdeutsche Unternehmen zu schaffen und der stagnierenden Wirtschaft Rückenwind durch Expansionsoptionen zu ermöglichen.

Verstehen Sie mich nicht falsch, ich will nicht den Eindruck erwecken, als würde ich Helmut Kohls Leistung mindern oder sein Vermächtnis schmälern wollen. Helmut Kohl machte mit großer Unterstützung Wolfgang Schäubles Berlin zur Bundeshauptstadt. Die Investitionsprogramme in die Bildungsstandorte Dresden, Jena und Leipzig, Frankfurt/Oder und Potsdam stehen auf der Habenseite der CDU. Es ist ebenfalls der CDU zu verdanken, dass die deutschen Automobilkonzerne Standorte in Ostdeutschland erschlossen.

Aber die CDU-interne Betrachtung auf diese Zeit lässt bis heute wenig Kritik, sondern in erster Linie nur Lobeshymnen zu. Diese Entwicklung zeigt auf, dass Helmut Kohl und die CDU-Spitze ostdeutscher Machtpartizipation nicht immer große Bedeutung hat zukommen lassen. Auch in Abwägung mit westdeutschen Interessen und in der Hoffnung, dass diese sich für beide Seiten positiv auswirken. Frei nach dem Motto: Geht’s dem Westen gut, geht’s allen gut.

Machtverluste in den ostdeutschen Bundesländern

Natürlich blieb dies in den neuen Bundesländern nicht unbemerkt und die CDU wurde dafür hart bestraft. Thüringen war bis 2014 durchgehend in CDU-Hand und wurde ausgerechnet von den Erben der SED als Wahlgewinner abgelöst. Mecklenburg-Vorpommern ist schon lange nicht mehr CDU-regiert. Brandenburg war es in den 32 Jahren nicht ein einziges Mal. In Sachsen hält sich die CDU nicht aus eigener Stärke an der Macht, sondern nur aus einem Bündnis gegen die AfD.

Einzig Sachsen-Anhalt scheint weiterhin schwarz zu sein. Aber je nachdem, wie tief man in diesem Bundesland in den Bodensatz der CDU blickt, könnte man kaum glauben, dass das noch Christdemokraten sind, die dort ihr Unwesen treiben. Dies gilt jedoch streng genommen für die gesamte Ost-CDU. Es war ein thüringischer CDU-Kreisverband, der Hans-Georg Maaßen 2021 als Bundestagskandidaten ins Rennen schickte.

Aber nicht nur politisch musste die CDU in den neuen Bundesländern Verluste hinnehmen. Kohl musste auch persönlich dafür „büßen“. Mit dem Eierwurf von Halle im Mai 1991 begann die überschwängliche Liebe der Ostdeutschen mit Kohl erstmals sichtlich zu bröckeln. Auch die nächste CDU-Kanzlerin hatte es trotz ostdeutscher Herkunft alles andere als leicht mit ihren „Landesgenoss:innen“. Die verbalen Übergriffe wie „Merkel muss weg“ während des Bundestagswahlkampfes 2017 in Finsterwalde waren nicht weniger demütigend als Kohls Erfahrungen mit den Ostdeutschen in Halle.

Merkels (ost-deutsche) Einsamkeit

Mit dem Beginn ihrer Kanzlerschaft entstand in der Deutschen Medienlandschaft ein tatsächliches Zerrbild über die neuen Machtverhältnisse in der Deutschen Politik. Die Tatsache, dass es mit Matthias Platzeck und Angela Merkel über eine kurze Zeit zwei Ostdeutsche gab, die die Geschicke der zum damaligen Zeitpunkt mächtigsten Parteien Deutschlands lenkten und eine davon den Weg ins Kanzleramt schaffte, war Anlass, die deutsche Einigung für gelungen und vollendet zu betrachten. Dieses Bild setzte sich nicht nur in der deutschen Politik, sondern auch in der Medienlandschaft fest. Aber aus gutem Grunde machte Angela Merkel nie ein Thema daraus. Sie verschwieg ihre Herkunft nie, aber sie thematisierte sie selten.

Auch ihr direktes Umfeld in der CDU und im Kanzleramt war erstaunlich westdeutsch. Keiner ihrer engsten Mitstreiter:innen stammte aus Ostdeutschland. Beate Baumann, Eva Christansen, Hermann Gröhe, Ronald Pofalla kommen aus NRW. Volker Kauder und Annette Schavan aus BW, Peter Altmaier aus dem Saarland und Peter Tauber aus Hessen. Einzig ihre politische Allzweckwaffe Thomas De Maiziere ist heimisch in Sachsen, jedoch erst nach der Wendezeit. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Zum einen spielen regionale Machtstrukturen und Teilhabe bei allen deutschen Parteien eine große Bedeutung. Zum anderen wollte Angela Merkel vielleicht den Eindruck vermeiden, sie unterstütze die Ost-CDU überproportional.

Mir selbst sind Anfang der 2010er Jahre in BW Sätze um die Ohren geflogen wie: „Die Ost-CDU ist mit Angela Merkel genug repräsentiert.“ Hierzu muss man wissen, dass Angela Merkel ihren Wahlkreis in Mecklenburg-Vorpommern hatte und somit nur einen von fünf Ostverbänden repräsentierte. Mit diesem Wissen sollten wir uns einmal vorstellen, welche Stimmung in der CDU BW wäre, wenn es aufgrund eines Bayrischen Bundeskanzlers weniger bzw. gar keine Spitzenfunktionäre mehr aus Baden-Württemberg gäbe.

Es gab und gibt bis heute in der Westdeutschen Gesellschaft in Teilen ausgeprägte Ressentiments gegenüber Ostdeutschen. Dieser macht auch vor Parteien nicht halt. Angela Merkel wird sich dieser Tatsache bewusst gewesen sein und dies erklärt, warum sie in ihrer Kanzlerschaft nie die „Ostkarte“ spielte. Schade, es wäre eine Möglichkeit gewesen, der westdeutschen Gesellschaft ein prominentes Gegenbeispiel zum „faulen ungebildeten Ossi mit sächsischem Akzent“ zu liefern. Mit dem Aufstieg der AfD hat dieses Bild aus den 90er Jahren in Westdeutschland wieder eine Renaissance erlebt. Vielleicht war es aber auch nie weg.

Ungeahnte Folgen der Machtpolitik

Ich möchte den Aufstieg einer antidemokratischen Partei in Ostdeutschland nicht der CDU oder einer Ressentiments-behafteten westdeutschen Gesellschaft in die Schuhe schieben. Insbesondere für dieses Thema gibt es keine monokausalen Erklärungen und es ist auch kein reines ostdeutsches Phänomen. Aber die Enttäuschung über das Zerbröckeln eines Traumbildes mit „blühenden Landschaften“ für Ost und West ist auch der CDU zuzuschreiben.

Die CDU muss sich dieser Wahrheit um ihrer selbst willen bewusst werden. Denn falls sich die Gerüchte um Sahra Wagenknecht und einer Parteigründung bewahrheiten sollten, werden nicht nur die Linken und die AfD daran zu knabbern haben. Und mit zunehmend schwindenden Machtoptionen im Osten sieht die Zukunft der Union für Deutschland nicht mehr Schwarz, sondern nach Ampelfarben aus.

Bild (Startbild): Wahlplakat der CDU von 1990. Von Website LEMO Autor: CDU / Konrad Adenauer Stiftung. Lizenz: KAS/ACDP 10-024:5055 Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland (CC-BY-SA 3.0)

Creative Commons Lizenzvertrag Weitere Informationen zum Urheberrecht unter Kontakt/Impressum/Lizenz.
Bei Interesse können die statistischen Daten für die Grafiken per Mail zugesandt werden.

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