Die seit sechs Dekaden jährlich tagende Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) stand im Februar 2023 im Schatten des Russland-Ukraine-Krieges und seiner globalen Folgen. Im Wesen ging es der Mehrheit der Teilnehmer um die politisch-militärische Stärkung des euro-atlantischen Machtblocks gegen Russland. Demgemäß war Russland erstmals seit Jahrzehnten – wie im Kalten Krieg – nicht eingeladen. Im Mittelpunkt der Diskussionen standen die beschleunigte Hochrüstung („Panzer-Koalition“, Flugzeuge, Munition, Logistik, Ausbildung) sowie die Durchfinanzierung der bankrotten Ukraine durch die NATO-Staaten.
Die eindimensionale Schwerpunktsetzung, schon vor der Konferenz im MSC-Strategiebericht „Re:Vision“ erarbeitet, blockierte jegliche Initiativen für einen Waffenstillstand und die Aufnahme von Verhandlungen, geschweige denn Vorschläge zur Lösung globaler Probleme zu bieten. Damit hat die MSC ihre gesamteuropäische und weltpolitische Bedeutung als Dialogplattform verloren – symptomatisch für den Einflussverlust der US-geführten, westlich-beschränkten Teil-Welt.
Aufgabe deutscher Interessen
Deutschlands Kanzler Scholz begrüßte die absehbare NATO-Erweiterung durch Finnland und Schweden (Aufgabe ihrer Neutralität seit 1945 bzw. 1814!) sowie die strittige künftige EU-Mitgliedschaft der Ukraine. Deutschland unterstützt die Ukraine „so umfangreich und solange wie nötig“. Es ist mit den USA und Großbritannien Hauptlieferant von Rüstungsgütern. Seine Ukraine-Finanzierung belief sich bislang auf über zwölf Milliarden Euro und über eine Million Flüchtlinge wurden aufgenommen.
Gewohnt deutungsoffen formulierte Scholz, dass „Russland diesen Krieg nicht gewinnen darf“, jedoch die Balance zwischen Waffenhilfe und ungewollter Eskalation bewahrt werden muss. Die „Nuklearkriegsgefahr“ waberte bei der Konferenz immer im Raum. Weitgehend aufgegeben wurde eine Artikulation europäisch-deutscher Interessen. In der Scholz-Regierung dominiert die Anpassung an US-Positionen. Traditionelle Dialogpolitik; Souveränität und Selbstbestimmung; oder auch Offenlegung des Staatsterrorismus von Verbündeten gegen Deutschland (Nord Stream-Anschläge) – allesFehlanzeigen.
Gravierende Veränderungen auf der Konferenz zeigten sich auch am Auftritt Chinas.
Chinesische Diplomatie
Das Politbüro-Mitglied Wang Yi informierte in seinem Beitrag, dass China ein Dokument zur Lösung der Ukraine-Krise veröffentlichen wird. Danach traf er sich mit dem US-Außenminister Tony Blinken an einem geheimen Ort zu internen Gesprächen. Die Hauptverantwortung für einen Durchbruch zur Beendigung des Krieges liegt nach wie vor bei den USA und Russland. Die MSC selbst wird von China nicht als passendes Gremium einer chinesischen Offerte betrachtet. Wang Yi besuchte danach erst noch Moskau/Putin. China stimmte sich mit den anderen BRICSStaaten ab. Und am 24. Februar verkündete Präsident Xi die „Position Chinas zur politischen Lösung der Ukraine-Krise“. Der Westen reagierte zurückhaltend bis diffamierend auf die chinesischen Verhandlungsvorschläge.
Wenige Tage später, am 10. März, eine weitere Schock-Überraschung. Durch Vermittlung des Irak und Omans sowie Verhandlungen in Peking vereinbarten Saudi-Arabien und Iran die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen. Schon 2022 waren die verschiedenen ukrainisch-russischen Verhandlungen über Waffenstillstand, Getreidehandel, Gefangenaustausch und zur Sicherheit von Atomkraftwerken mit Hilfe von Belarus, der Türkei, Israel, der UNO und IAEA sowie Ägypten zustande gekommen.
Offenbar scheitert das Buhlen des Westens um Partner zur Unterstützung des Sanktions- und Wirtschaftskriegs zur Schwächung Russlands und „Entkopplung“ Chinas. Die negativen historischen Erfahrungen und der 20-jährige verlorene Afghanistan-Krieg wirken. Jüngst machte auch Scholz bei Besuchen entsprechende Erfahrungen mit Lula in Brasilien und Modi in Indien. Der Westen verliert in der multipolaren Welt die Initiative und gerät in eine (Selbst-)Isolation.
Westlicher Mangel an Realpolitik
Auch die MSC hat ihren selbstgefälligen Anspruch verwirkt, „weltweit führendes Forum für Debatten zu den internationalen Sicherheitsrisiken“ zu sein. Verkommen zu einer ideologiegetriebenen Organisation der Konfrontation, der Hochrüstung und des Krieges, ist der Westen auf sich selbst zurückgeworfen. Er leidet in seiner „Zeitenwende“ der neokonservativen Restauration unter politischer Kurzsichtigkeit und Verzwergung.
Die Dynamik wirkmächtiger Realpolitik inklusive Friedensinitiativen sowie transkontinentaler Kooperationen verschiebt sich geostrategisch nach Osten bzw. Süden. Sie wird von China und seinen Partnern – wenn auch widersprüchlich – erfolgreich realisiert.
Der Kommentar erschien zuerst in WeltTrends – Zeitschrift für internationale Politik: „Brasilien im Umbruch“ (Nr. 196; Frühjahr 2023). Er liegt auch als PDF vor.
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Ein Gedanke zu “Die politische Verzwergung des Westens”