Erhard Crome beendet Arbeit mit Initial

Offener Brief (Auszüge) des langjährigen Mitglieds der Redaktion von Initial – Dr. Erhard Crome.

Liebe Redaktion, lieber Vorstand von Berliner Debatte Initial,

hiermit beende ich mit sofortiger Wirkung meine Mitarbeit in der Redaktion der Zeitschrift  „Berliner Debatte Initial“.

Die Zeitschrift und die dann später zur Sicherung ihrer Herausgabe geschaffene GmbH, deren Geschäftsführer Rainer Land und ich gleichberechtigt und kooperativ arbeitend bis zu ihrer Beendigung 2016 waren, sowie der Verlag „Berliner Debatte“ waren mir seit 1990 stets ein wichtiges Anliegen. Um 2010 wurde unter den Gesellschaftern der GmbH und mit dem Beirat der Zeitschrift diskutiert, ob sich das Projekt durch Erfolg erschöpft hat und wir es einfach beenden sollten. Das konnte rechtlich betrachtet die Gesellschafterversammlung per Beschluss machen, dazu war aber auch die Geschäftsführung qua Kompetenz nach Handelsrecht berechtigt. Am Ende hatten wir entschieden, einen Generationswechsel zu versuchen und entsprechende Vorschläge zu unterstützen.

Schließlich wurde die Verantwortung für die Zeitschrift dem Verein „Berliner Debatte Initial e.V.“ übergeben. Das war rechtlich insofern kein Problem, als dass der Verein als juristische Person Gesellschafter der GmbH war und bei der Gründung den Titel als ideelles Kapital mit in die GmbH eingebracht hatte. In diesem Sinne lagen die Titelrechte ohnehin immer beim Verein. Über die Nutzung des Titels „Initial“ – das war ja der ursprüngliche Zeitschriftentitel 1990 bei der Überführung der „Sowjetwissenschaft. Gesellschaftswissenschaftliche Beiträge“ in eine selbständig geführte sozial- und geisteswissenschaftliche Zeitschrift im Gefolge der Wende, in Eigenverantwortung des maßgeblich von Peter Ruben gegründeten und geprägten Vereins – habe ich damals als Geschäftsführer der GmbH und im Auftrage des Vereins eine Vereinbarung mit dem Verlag „Volk und Welt“ (der jahrzehntelang die Sowjetwissenschaft verlegt hatte) über die dauerhafte Nutzung des Titels „Initial“ geschlossen, bevor dieser Verlag durch die Treuhand in Westhände geriet. Der Titelteil „Berliner Debatte“ ergab sich ohnehin aus dem Namen des Vereins.

Inzwischen muss ich feststellen, dass der Generationswechsel in einem geistig-kulturellen und intellektuellen Sinne gescheitert ist und nun eine Zeitschrift gemacht wird, die dem Mainstream angepasst wurde und überwiegend nichtssagende Zeitgeist-Schwerpunkte beinhaltet. Hinzu kommt, dass die Redaktion immer weniger in der Lage ist, selbständig Themen zu setzen und diese inhaltlich anspruchsvoll zu realisieren. Hier behilft man sich zunehmend mit „Calls for Papers“, auf den hin sich dann auch die entsprechenden zeitgeistigen Mainstream-Autoren melden.

Mein Entschluss, aus der Redaktion auszuscheiden, hat aktuell vor allem vier Gründe.

1. Die Intellektuellen, die seit 1990 selbständig die Zeitschrift und den Verein getragen haben, hatten sich ein Redaktionsstatut gegeben, das nicht nach dem Muster der schlichten bürgerlichen Mehrheitsregeln gebaut war, sondern dem Konsensprinzip folgen sollte, das im Grunde aus den „Runden Tischen“ von 1989/90 hervorgegangen war. Das bedeutete praktisch, wenn ein Redakteur der Veröffentlichung eines Artikels widersprochen hatte, konnte dies ein „Veto“ sein und der Text erschien definitiv nicht. War der Einwand kein Veto, wurde solange diskutiert, bis alle zustimmen konnten, und der Autor wurde gebeten, den Artikel entsprechend zu überarbeiten. Wollte er dies nicht, erschien der Text ohnehin nicht. Die meisten wollten.

Charakteristisch war, dass in der Redaktion ständig inhaltlich diskutiert wurde, über das Programm des kommenden Jahrgangs, das nächste Heft und einzelne Texte, oft über Stunden. Das Ergebnis war eine Zeitschrift, die stets interessant war und definitiv nicht den spätbürgerlichen Moden folgte, sich aber auch keiner politischen Partei oder Strömung anzudienen gedachte, auch wenn die einzelnen Redakteure als Privatpersonen durchaus dieser oder jener Partei angehörten.

Die Ersetzung des ursprünglichen Redaktionsstatuts durch ein anderes war die Wendung zum bürgerlichen Mehrheitsprinzip. Zugleich wurden immer weniger, schließlich keine ernsthaften inhaltlichen Diskussionen mehr geführt. Angesichts von Corona und nur noch Zoom-Sitzungen der Redaktion wurde dies verstärkt. Debatten um Texte reduzierten sich überwiegend auf Fragen, wie: Ob die Fußnote vor oder hinter dem Punkt am Ende des Satzes stehen soll, oder wie in der Literaturliste die Namen der Autoren aufgelistet werden sollen.

Das ursprünglich angekündigte Abstimmungsverfahren – hier des eigentlich nach dem „neuen“ Redaktionsstatut gebotenen einfachen Mehrheitsbeschlusses – wurde durch ein mehrstufiges Verfahren ersetzt, das weder angekündigt noch vorher im Rahmen der Gesamtredaktion abgestimmt worden war. So dass die eigentlich einfache Frage – schwarz oder weiß – verhindert und das Abstimmungsergebnis im Sinne der Intention des Verantwortlichen Redakteurs bzw. einer Minderheit innerhalb der Redaktion manipuliert wurde.

2. Zunehmend wurden auch die jahrelang praktizierten ungeschriebenen Regeln außer Kraft gesetzt und der autoritären Vormundschaft des Verantwortlichen Redakteurs unterworfen. Diese Funktion war im Sinne des ursprünglichen Redaktionsstatuts lediglich als koordinierend angelegt; er sollte nicht als Schriftleiter der Vorgesetzte der anderen Redakteure sein.

Angesichts der intellektuellen Ausdünnung der Arbeitsprozesse in der Initial-Redaktion und der Tatsache, dass Ende Oktober/ Anfang November 2022 noch nicht feststand, was denn der Inhalt von Heft 1/2023 und die Schwerpunkte des Jahrgangs 2023 sein sollten, hatte ich zwei jüngere Kollegen, die in den 1990er Jahren auch bei mir an der Uni Potsdam studiert hatten, die im Bereich der Politischen Theorie bzw. Philosophie tätig sind und heute beide an Universitäten arbeiten, gefragt, ob sie Lust hätten, als auswärtige Schwerpunktherausgeber einen Initial-Schwerpunkt zu betreuen. Das Ergebnis war eine Zusage und die Beschreibung eines Schwerpunktes zum Thema: „Korrekturen der Politischen Korrektheit?“ Sie hatten auch bereits einige Autoren vor-angefragt, darunter Udo Tietz, der einer der Initial-Redakteure „der ersten Stunde“ war und Mitgesellschafter in unserer GmbH.

Zu den Usancen bei Initial gehörte es seit Anfang der 1990er Jahre, dass ein Redakteur, der einen Schwerpunkt betreut oder eingeworben hat, dies auch bis zum Ende tut. Damit wären die weiteren Verhandlungen mit den beiden Kollegen meine Sache gewesen.

Jetzt war ich düpiert.

3. Der Gipfel war … Außerdem war der Redaktion vorgeschlagen, im Umfeld … weitere Texte zu diesem Thema einzuwerben, die eher der Tradition des Rubenschen Denkens entsprechen. Das wurde brüsk abgelehnt. Beides ist auch deshalb degoutant, weil wir (Rainer Land und ich) wenige Wochen zuvor das Erscheinen der Gesammelten philosophischen Schriften von Peter Ruben öffentlich gewürdigt hatten. Hier ist sowohl in Bezug auf sein philosophisches Erbe als auch auf das Verständnis des Realsozialismus Rubens Kommunismus-Verständnis zentral. …

4. Eine der … Gestalten des Partei-Marxismus in der DDR … Der spielte seine Rolle in der „Ruben-Affäre“ 1981, als Ruben und andere in dem letzten ideologischen „Revisionismus“-Verfahren der DDR aus der SED ausgeschlossen und mundtot gemacht wurden. Orchestriert von der Wissenschaftsabteilung des ZK der SED (und Büro Kurt Hager, der damals der zuständige ZK-Sekretär war) sowie der damaligen Leitung des Zentralinstituts für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR, …

Und dies fünfzehn Jahre nach der „Wende“. Peter Ruben hat das damals detailliert zerlegt und den stalinistischen Gehalt der Anwürfe und des Machwerks nachgewiesen (Berliner Debatte Initial, Heft 1-2/2006; Rubens Gesammelte Schriften, Band 4, S. 274ff.). Peter Beurton, der 1981 ebenfalls als „Mitglied der Ruben-Gruppe“ gemaßregelt wurde, publizierte in Initial (ebenfalls Heft 1-2/2006, S. 225) seine Erfahrungen … Der Text endet so: „Fazit: Dieser Mann hat den Verlust des politischen Systems, durch das er überhaupt erst eine Bedeutung bekam, nicht verkraftet. Blinder Hass führt ihm die Feder.“  

Ich möchte für solche Umtriebe künftig meinen Namen nicht hergeben. Es wurde nicht nur die „Berliner Debatte“ als Ort der Debatte liquidiert, sondern auch das intellektuelle Erbe von Peter Ruben auf eine intrigante Weise ausgeschlagen. Die Organisierung des Heftschwerpunktes 4/2022 war damit meine letzte Tat für das Projekt „Berliner Debatte Initial“, das ich seit 1990 gern mitgetragen habe und auch noch fortgesetzt hätte, wenn die Umstände es erlaubt hätten.

Berlin, 06. Januar 2023

Creative Commons Lizenzvertrag Weitere Informationen zum Urheberrecht unter Kontakt/Impressum/Lizenz.
Bei Interesse können die statistischen Daten für die Grafiken per Mail zugesandt werden.

2 Gedanken zu “Erhard Crome beendet Arbeit mit Initial

  1. Leider sind die beiden Artikel von Peter Ruben und Peter Buerton lt. angegebenen Link nicht als PdF zu haben. Sie dürften noch oder wieder hochaktuell sein.
    Der Trend bei INITIAL, keine sozialphilosophischen Debatten zu wollen – allenfalls hochgestochene Geschwätzigkeit – zeichnet sich seit langem ab, auch die Brüskierung von hochangesehenen Autoren. So hatte INITIAL ein call for papers zur Entwicklungstheorie ausgesandt und ich konnte den Historiker Prof. Michael Mitterauer (Wien) gewinnen, dazu einem Text zu liefern. Auch Peter Ruben und Peter Buerton wagen geneigt, sich an der Debatte zu beteiligen. Dann wurde die von der Redaktion brüsk abgesagt. Mein Text dazu „Braucht die Entwicklungstheorie eine relativistische Wendung?“ – inzwischen nochmal erheblich ergänzt – ist hier veröffentlicht: https://www.academia.edu/35526992/Pawliczak_Entwicklungstheorie_2017

    Inzwischen hört man, daß sich auch Dr. Rainer Land (Potsdam) aus der Redaktion verabschiedet hat.

    Lothar W. Pawliczak (Berlin)

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