Gestalteter Niedergang

Besprechung: Randers, Jorgen: 2052. Der neue Bericht an den Club of Rome. Eine globale Prognose für die nächsten 40 Jahre. oekom verlag, München 2012, 431 S.

Die Endphase einer Epoche ist angebrochen, der Systemwechsel hat begonnen: Mit Blick auf die kommenden vier Jahrzehnte hinterfragen Randers und über 40 Fachkollegen das Ende des Kapitalismus, des Wirtschaftswachstums und der Demokratie sowie den sich deutlich verstärkenden Generationenkonflikt und die Instabilität des Klimas. Schlüsselproblem ist die „Grenzüberziehung“ in diesen Bereichen aufgrund von zu langen Verzögerungen im Problembewusstsein. Daraus resultiert die Notwendigkeit eines „gesteuerten Niedergangs“ bis Mitte des Jahrhunderts und eines dennoch möglichen, aber vermeidbaren Zusammenbruchs danach.

Das Buch ist nicht die erste verdienstvolle Publikation von Randers: Als Klimastratege und Autor der die internationale Politik- und Wirtschaftsentwicklung in den vergangenen Jahrzehnten wesentlich prägenden Studien des Club of Rome, „Die Grenzen des Wachstums“ (1972), „Die Neuen Grenzen des Wachstums“ (1992) und „Grenzen des Wachstums, das 30-Jahre-Update. Signal zum Kurswechsel“ (2004), hat er vielfach wissenschaftlich fundierte, globale Prognosen erstellt (vgl. ausführlich http://www.2052.info).

Die Bevölkerungszahl wird – entgegen aktueller UN-Schätzungen – bis 2040 mit ca. 8,1 Mrd. ihren Höchststand erreichen und dann absinken. Möglicherweise wird am Ende des 21. Jahrhunderts die Erdbevölkerung bei Rückgang der Fertilität durch Urbanisierung, Geburtenregulierung und andauernde Armut um ca. 2 Mrd. kleiner sein als heute.

Die Energieeffizienz und der Anteil erneuerbarer Energien werden global zunehmen (auf 37 Prozent), der Verbrauch aber vergleichsweise überproportional steigen. Der damit verbundene CO2-Ausstoß überschreitet um 2030 seinen Höhepunkt, der eine Klimaerwärmung auf deutlich über 2°C bedeutet; eine extreme Verschlechterung der Lebensbedingungen für große Teile der Menschheit ist nicht mehr zu verhindern.

Die Produktion von Nahrungsmitteln hat sich von 1970 bis 2010 weltweit verdoppelt und wird bis Mitte des Jahrhunderts um 50 Prozent gesteigert, d. h. um 27 Prozent pro Einwohner. Dennoch wird es aufgrund der ungerechten Verteilung weiter ein massives Hungerproblem geben.

Deutlich zeigt sich das beim „ökologischen Fußabdruck“, Maßstab für die Folgen menschlicher Aktivität für Ressourcen und Umwelt. Bereits 2010 wurde die Tragfähigkeit der Erde um 40 Prozent überschritten. Erste Gegenmaßnahmen sind von Inkonsequenz geprägt.

Das Bruttoinlandsprodukt, die Produktivität und der Konsum werden bis Mitte des Jahrhunderts, bei dramatischer regionaler Differenzierung, global langsamer steigen. Hauptursachen sind etwa demografische Probleme, soziale Konflikte und Verteilungskämpfe, Klima- und zunehmend extreme Wetterveränderungen, regionale und partielle Ressourcenerschöpfung.

Die globalen und innerstaatlichen Hauptkonflikte charakterisiert und quantifiziert Randers mit dem „nicht ausreichenden Produktivitätswachstum (das zu einer Beschleunigung von Verteilungsproblemen führt) und maßloser Ungerechtigkeit (die zu sozialen Konflikten führt)“ (S. 352). Der absehbare Niedergang vollzieht sich nicht in Form einer erhöhten Mortalität, sondern in Form einer deutlichen Verringerung der Kaufkraft und reduzierter Lebensqualität.

Als Lösungsansatz favorisiert Randers das Konzept der Nachhaltigkeit inklusive neuartiger Vorstellungen von „Wohlergehen“. Gestützt werden diese Positionen von vielen Fachkollegen, etwa von dem Biologen und Umweltaktivisten Karl Wagner: „Die nächsten 40 Jahre werden als eine der wesentlichen richtungsentscheidenden Perioden für die menschliche Zivilisation in die Geschichte eingehen“ (S. 59). Dabei erwartet er in den kommenden Jahrzehnten Umwälzungen in der westlichen Welt, die mit denen von 1848 vergleichbar seien.

Die Analyse der Veränderung der Kräfteverhältnisse der Weltregionen und Großstaaten geht wenig über Bekanntes hinaus. Die USA werden Mitte des 21. Jahrhunderts keine Supermacht mehr sein (10 Prozent der Weltwirtschaft). China wird sie um den Faktor 2,2 übertreffen und bereits in den 2020er Jahren einen bescheidenen Höchststand der Eigenentwicklung bei deutlicher Verlangsamung des Wirtschaftswachstums erreichen. Die OECDStaaten (ohne USA) werden ihr derzeitiges Lebensniveau in den nächsten drei Jahrzehnten nur leicht steigern (15 Prozent der Weltwirtschaft) und ihr Spitzenniveau längerfristig halten. Die BRISE-Region, Brasilien, Russland, Indien, Südafrika und zehn weitere Schwellenländer werden sich unspektakulär entwickeln. Die „Restwelt“ ca. 180 Staaten mit 2 bis 3 Mrd. Menschen, wird mit ihren zugespitzten Problemen deutlich hinter den anderen Regionen zurückbleiben. Das Gesetz der ungleichmäßigen Entwicklung wirkt fort.

Deutliche Vorteile dieser Publikation sind der interdisziplinäre Ansatz und demgemäß die Einbeziehung von Gesellschafts- und Naturwissenschaftlern sowie ihre Konzentration auf die Charakterisierung einzelner Themen. Nicht zu vergessen ist ihr Mut zu prägnanten Bewertungen. Die starke angloamerikanische Beteiligung in der Autorenschaft kann jedoch die Unterrepräsentanz der Mitteleuropäer und die konzeptionelle Unterschätzung der zunehmend nachhaltigen Wirtschafts- und Klimapolitik der Europäischen Union (entgegen früherer Studien des Club of Rome) nicht ausgleichen. Dennoch, die Studie empfiehlt sich als Pflichtlektüre für gegenwärtige und zukünftige Entscheidungsträger, die für eine nachhaltige Modernisierung unserer Gesellschaften sorgen sollten.

Die Rezension erschien zuerst in WeltTrends – Das außenpolitische Journal Nr. 88 China und die Welt“. Sie ist auch als PDF verfügbar.


Bildrechte

Titel: Cover Publikation Jorgen Randers: 2052; © oekom Verlag.

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