US-Wahlsystem – Blockaden und fragile Mehrheiten

Artikel zum politischen System USA
Staatsverständnis und Zwei-Parteiensystem
– Wahlsystem – Blockaden und fragile Mehrheiten

Das politische System der USA funktioniert nach einigen inneren Wahrscheinlichkeiten. So gewinnen US-Präsidenten in ihrer ersten Amtszeit meist auch die Mehrheiten in beiden Kammern des Kongresses.

Der Start mit einer unified government ist die statistische Normalität. Seit 1953 mussten nur drei von zwölf Präsidenten von Anfang an eine divided government führen: Georg W. Bush senior, Ronald Reagan und Richard Nixon. (Recht 2024) Wobei die Amtszeit von Georg Bush senior schon 35 Jahre zurück liegt. Trumps Sieg in beiden Kammern des Kongresses war Teil der politischen Normalität und kein Unfall.

Hintergrund ist wohl die oft beschriebene „Wechselstimmung“ – die sich in den gleichzeitig stattfindenden Wahlen niederschlägt. Die Realpolitik amtierender Regierungen enttäuscht Teile der eigenen Wähler. Bei der nächsten Wahl wechseln Viele die Seiten und die Mehrheiten kippen. In Deutschland verlangsamen bzw. verschleiern Verhältniswahlrecht, daraus resultierende Regierungskoalitionen sowie nicht genormte Wahltermine diesen Prozess.

In den USA treten die wechselnden Stimmungslagen deutlicher hervor. Wobei mit dem Antritt einer neuen Regierung der Prozess erneut beginnt. Entsprechend verlieren US-Präsident in der Regel zu den Midterms – nach zwei Jahren – ihre Mehrheiten im Kongress. Sie sind dann in der Handlungsfähigkeit deutlich eingeschränkt.

Diesem Prozess ist sich auch die Trump-Regierung bewusst. Die umfassenden, teilweise radikalen Maßnahmen können auch als Versuch gedeutet werden, umzusetzen was möglich ist, bevor die Macht dazu schwindet.

Wahlleute – Überzeichnung der Dominanz

Auch das System der Wahlmänner unterliegt der Logik zum überzeichneten und damit eindeutigen Sieg. Trump gewann mit 312 zu 226 Wahlmännern. Er hatte 86 bzw. 40 Prozent mehr „Stimmen“ als seine Konkurrentin. Ein scheinbar überdeutlicher Vorsprung. Aber bei den echten Wählerstimmen, die popular vote, schmilzt sein Vorsprung auf nur noch 1,7 Prozent bzw. ca. 2,6 Mio. Stimmen. (CNN 2024)

Auch erhielt Trump keine absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Er liegt wohl knapp unter 50 Prozent. Eine (knappe) Mehrheit der Bevölkerung hat ihn bzw. seine Partei nicht gewählt. Derzeit machen insbesondere dem Demokraten nahestehende Medien daraus ein Politikum.

Aber viele Präsidenten wurden mit keiner „echten“ Mehrheit ins Amt gewählt – zum Beispiel Bill Clinton in beiden seiner Wahlen zum Präsidenten. Daraus ein Politikum zu machen, zeigt wohl eher die eigene politische Position in Bezug auf Trump, als eine analytische Kritik am politischen System.

Noch knapper ist das Ergebnis auf Ebene der Bundesstaaten. Das Mehrheitswahlrecht führt dazu, das sich in vielen US-Bundesstaaten verfestigte Wahlmuster ausgebildeten. Meist liegt bei Präsidentschaftswahlen immer dieselbe Partei uneinholbar vorne. 2024 hatten die Demokraten in Kalifornien einen Vorsprung von über 20 Prozentpunkten. In den Wahlen von 2020 sowie 2016 betrug dieser jeweils knapp 30 Prozentpunkte. Oder Montana: Hier gewannen die Republikaner die letzten drei Präsidentschaftswahlen mit jeweils 16 bis 20 Prozentpunkten Vorsprung. Es müssten außergewöhnlichste Umbrüche passieren, damit in diesen Staaten die Konkurrenz gewinnt.

Entsprechend entscheiden nur eine Handvoll „Swing States“ über den Ausgang der Präsidentschaftswahl. Die Staaten sind – Arizona, Georgia, Michigan, Nevada, North Carolina, Pennsylvania und Wisconsin. (Alle Daten Wahlergebnisse 2016, 2020 bis 2024: CNN)

Bei der aktuellen Wahl zum Präsidenten wechselten von 50 Staaten nur sechs in Richtung Republikaner. Diese Staaten gaben den Ausschlag. Aber auch hier ging es nur um Nuancen. In fünf dieser Staaten lag der Vorsprung der Republikaner bei weniger als drei Prozentpunkten der Stimmen. Das knappste Ergebnis gab es in Wisconsin: Weniger als ein Prozentpunkt Vorsprung. Nur in Arizona gab es einen deutlicheren Vorsprung von über fünf Punkten.

Zugespitzt: Die Republikaner lagen in den Swing Staates um weniger als 600.000 Wähler vorne. Diese 0,4 Prozent der Stimmen entschieden über den Ausgang der Wahl des Präsidenten. „Erdrutschsiege“ sehen anders aus.

Politische Bedeutung Swing States

Republikaner und Demokraten wissen um die alles entscheidende Bedeutung der Swing States. Entsprechend versuchen beide Seiten in diesen „Battlegrounds“ eine Entscheidung herbeizuführen. Das wird besonders an der Struktur der Wahlkampfbudgets erkennbar. Kamala Harris sammelte für ihren Wahlkampf über 2,3 Mrd. US-$ ein. Davon gab sie mindestens 1 Mrd. US-$ nur für Werbung in diesen sechs Swing Staates aus. (Learner 2024)

Aber die Bearbeitung der Swing-States begann schon viel früher. Im Rahmen des Inflation Reduction Act (IRA) mobilisierte die Biden-Regierung fast 150 Mrd. US-$ für Erneuerbare Energien. Von diesen Staatssubventionen erhielten die Swing States ca. 63 Mrd. US-$. (Milman und Noor 2024) Deren große Dominanz ist sicher kein Zufall.

Aber positive Effekte für die Demokraten stellten sich kaum ein. Hintergrund ist wohl, dass die Biden-Regierung die Kommunikation nicht auf die Reihe bekam. Nur vier von zehn US-Amerikaner haben überhaupt etwas vom IRA gehört. (Milman und Noor 2024) Ein verdammt niedriger Wert, angesichts des historischen  Programms.

Graduelle Veränderung keine Revolution

Auch bei den Wahlen zum Senat und Repräsentantenhaus dominierte die Stabilität. Im Senat wechselten von 33 zu wählenden Sitzen nur vier zu den Republikanern. Die übrigen behielten die Parteizugehörigkeit. Auch im Repräsentantenhaus blieben die meisten Sitze in der Hand der Inhaberpartei. Das Ergebnis ist keine Revolution, sondern politische Stabilität mit graduellen Verbesserungen für die Republikaner.

Die politischen Mehrheiten von Trump sind eingeschränkter als es die Statistik der Wahlmänner suggeriert. Vor allem weil Parteibindungen von Abgeordneten in den USA deutlich schwächer als in Deutschland sind. Es ist keine Seltenheit, dass Abgeordneten gegen politische Initiativen der eigenen Partei stimmen. Mehrheiten von nur drei bis vier Stimmen im Repräsentantenhaus sowie maximal fünf im Senat können bei harten Konflikten schnell kippen.

Hintergrund ist, dass sich die Senatoren und Abgeordneten auf Landesebene sich den gleichen Wahl-Mechanismen gegenüber sehen. Auch sie müssen ihre Abwahl fürchten, wenn sie, blind für regionale Stimmungslagen, die bundespolitische Sicht ihrer Partei übernehmen. Besonders die Abgeordneten aus den sechs Swing States tendieren entsprechend eher zur Mitte.

Arizona – Politisch nicht eindeutig zuordenbar

Ein Beispiel wäre der Swing State Arizona. Zwar hat eine Mehrheit den Republikaner Trump gewählt aber gleichzeitig gewann der Demokrat Ruben Gallego die Wahl zum Senator. Von den neun Abgeordneten zum Repräsentantenhaus kommen drei von den Demokraten und sechs von den Republikanern. Die Mehrheit dieser Sitze gewann die jeweilige Partei nur mit wenigen Prozentpunkten Vorsprung.

Gleichzeitig siegten die Befürworter einer weitgehenden Liberalisierung des Abtreibungsrechts in einer parallel zur Präsidentenwahl stattfindenden Volksbefragung. In Arizona sind jetzt Abtreibungen bis zum 6. Monat legal – ohne vorherige (Zwangs-)Beratung wie in Deutschland. Das mehrheitlich für Trump stimmende Arizona hat damit eines der liberalsten Regelungen in den USA und geht dabei weit über gesetzlichen Standards in Europa hinaus. Auch in den „republikanischen Staaten“ Montana und Nevada siegten die Abtreibungsbefürworter in entsprechenden Volksabstimmungen. (Tagesschau 2024) Keiner der Senatoren und Abgeordneten sowie letztlich auch nicht Trump können sich bei einer solchen politisch uneindeutigen Situation (auf Dauer) kompromisslosen Extremismus erlauben.

Nach der Wahl ist vor der Wahl

Alle zwei Jahren finden in den USA die Midterms statt. Bei den Halbzeitwahlen wird ein Drittel der Senatoren sowie das gesamte Repräsentantenhaus neu gewählt. Dann entsteht meist eine divided government. Der letzte Präsident der nicht seine Dominanz in den Midterms verlor war Jimmy Carter – vor fast 50 Jahren. Mit hoher Wahrscheinlichkeit kommt auch für Trump im Jahr 2026 eine gespaltene Regierung – so wie in seiner ersten Amtszeit nach den Midterms von 2018. Dann wird sich auch die Politik der künftigen Regierung ändern.

Deutschland – uninformiert, unfähig, unvorbereitet

Die „Überraschung“ über den Wahlsieg Trumps in Deutschland kommt wohl daher, dass die Mehrheit der Bevölkerung sich nicht mit dem andersartigen politischen System der USA auseinandersetzt. Sie konzentriert sich einseitig auf die Wahl des Präsidenten und die darum hochgejassten Wahlschlachten. Die dem System inhärenten nicht-europäischen Mechanismen werden nicht antizipiert. Auch die erheblichen Gemeinsamkeiten der beiden Parteien – zum Beispiel in Bezug auf Zölle im Außenhandel – werden nur wenig analysiert. Umso größer ist jetzt der Kater. Auch die deutschen Medien versagten hier weitgehend. Sie kamen ihrer Funktion der Erläuterung und Einordnung nicht nach.

Ja – die Republikaner haben ein Übergewicht. Aber es ist kein neuer Faschismus zu erwarten, sondern ein stärker autoritäres Regime. Hier ist es notwendig (verbal) abzurüsten und realistische Positionen anzunehmen. (Crome 2024)

Literaturverzeichnis

Alle Daten Wahlergebnisse 2016, 2020 bis 2024: CNN

Crome, Erhard (2024): USA-Wahl. Die Zukunft mit Trump II. Potsdam: WeltTrends; Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg.

Learner, Sam (2024): Die teuerste Wahl aller Zeiten: Trump und Harris gaben 3,5 Mrd. aus. In: Capital, 06.11.2024.

Milman, Oliver; Noor, Dharna (2024): Swing states in US election are biggest winners in Democrats’ landmark climate bill. In: The Guardian, 24.09.2024.

Recht, Hannah (2024): It’s been decades since a new president faced a divided government. In: The Washington Post, 02.11.2024.

Share America (Hg.) (2020): Swing states keep campaigns guessing. U.S. Department of State. Washington.

Tagesschau (Hg.) (2024): US-Wahl 2024. Verfassungsänderungen – Mehrere US-Staaten stimmen für Recht auf Abtreibung. Hamburg.

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Bei Interesse können die statistischen Daten für die Grafiken per Mail zugesandt werden.

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