Der Immobilienmarkt durchlebt derzeit massive Turbulenzen. Vor diesem Hintergrund legte der Deutsche Mieterbund (DMB) ein von ihm in beauftragte Gutachten vor. Schwerpunkt der vom Öko-Institute e.V. durchgeführten Studie ist die Wohn- und Energiekostenbelastung von Mietenden. (Noka et al. 2023) Es stützte sich vor allem auf die Einkommens- und Verbraucherstichprobe des Statistischen Bundesamtes. (S. 7)
Das Ökoinstitut folgte in seiner Studie zwei methodischen Ansätzen.
Erstens verwendet das Ökoinstitut beim Einkommen das Nettoäquivalenzeinkommen. Es ist das reale Einkommen nach Abzug von Steuern und Sozialbeiträgen. Zum Einkommen zählen alle positiven Finanzströme, nicht nur Löhne und Gehälter, sondern auch Kapitaleinkommen wie Dividenden, Erbschaften oder Mieteinnahmen aber auch staatliche Transfers wie Rente, Kinder- und Bürgergeld oder Erstattungen der Krankenkasse. Das Einkommen eines Haushaltes wird dann nach Anzahl der Personen gewichtet.
„[…] der Haupteinkommensbezieher des Haushalts [erhält] den Gewichtungsfaktor 1,0, alle übrigen Haushaltsmitglieder von 14 Jahren und älter den Faktor 0,5 und Personen unter 14 Jahren den Faktor 0,3. Ein Ehepaar mit 2 Kindern unter 14 hätte daher bei einem verfügbaren Einkommen von 4.500 Euro monatlich ein Äquivalenzeinkommen von 2.142,86 Euro (4.500/(1,0+0,5+2*0,3)=2.142,86). Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer alleinlebenden Person mit einem Einkommen von 2.142,86 Euro würde diesem Haushalt als gleichwertig angesehen werden.“
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2022)

Zweitens teilt es die deutsche Bevölkerung in 10 Gruppen nach dem Nettoäquivalenzeinkommen ein. Jeder Gruppe repräsentiert 8,1 Millionen Menschen. „Die Anzahl der Haushalte pro Dezil variiert, da die Haushaltsgröße variiert – z.B. gibt es im ersten Dezil besonders viele Ein-Personen-Haushalte.“ (Noka et al. 2023, S. 8)
Im ersten Dezil befinden sich die 10 Prozent der Bevölkerung mit dem geringsten Einkommen. Jedes weitere Dezil verfügt über mehr Einkommen. Im höchsten Dezil – also im zehnten – sind die Personen mit dem höchsten Einkommen.
Das interessante an dieser Studie sind die Erkenntnisse über die soziale Struktur des deutschen Wohnungsmarktes. Es lassen sich drei Hauptthesen ableiten.
1. Arme Mieten – Reiche Besitzen
Der Anteil der mietenden Haushalte verteilt sich alles andere als gleichmäßig über die Einkommensgruppen. Je geringer das Einkommen, umso wahrscheinlicher lebt die Person bzw. der Haushalt zur Miete.
In der Gruppe mit den geringsten Einkommen wohnen ca. 91 Prozent der Bevölkerung zur Miete. Im höchsten Dezil ist die Situation (fast) umgekehrt. Dort besitzen ca. 75 Prozent der Haushalte die Immobilien in denen sie wohnen.
Entsprechend betrifft Mietenpolitik vor allem die unteren Einkommensgruppen. Laut Ökoinstitut kommen 54 Prozent aller mietenden Haushalte aus den untersten drei Einkommensgruppen. (Noka et al. 2023, S. 9)

2. (relative) Mietkosten sinken mit dem Einkommen
Ihrem Auftrag folgend konzentriert sich die Studie auf Mietende bzw. deren Relation Einkommen zu Mieten. Endsprechend werden kaum Daten für Hausbesitzer präsentiert. Lediglich auf Seite 28 gibt es ein paar Daten. Nicht überraschende Tendenz: Eigentum hat eine höhere Wärmeeffizienz und ist umfassender saniert.
Beim Vergleich der Mietenden aller Einkommensgruppen, zeigen sich zwei sich scheinbar wiedersprechende Erscheinungen.
Einerseits verfügen wohlhabende Haushalte über mehr Wohnfläche (1. Dezil 56 m² / 10. Dezil 87 m² / Durchschnitt 69 m²) und verbrauchen deutlich mehr Heizenergie (1. Dezil 8.616 kWh pro Jahr / 10. Dezil 11.226 kWh pro Jahr / Durchschnitt 9.500 kWh pro Jahr). (Noka et al. 2023, S. 10 + 13)
Andererseits liegt die Belastung hoher Einkommens durch (Warm-)Mieten deutlich unter dem Niveau ärmerer Gruppen. Die Steigerung des Einkommens kompensiert den realen Anstieg der Kosten bei weitem.

Bei der obigen Grafik fällt die breite Streuung der Relation von Mieten zu Einkommen ist. Das liegt wohl einerseits an den doch erheblich Unterschieden im realen Einkommen.
Andererseits hat der Zustand der Wohnimmobilien einen entscheidenden Einfluss – insbesondere Umfang der Wärmedämmung sowie Modernität und Effizienz der Heizung. Außerdem sind „Haushalte in Großstädten oder mit neueren Mietverträgen stärker belastet als solche in Kleinstädten oder mit älteren Mietverträgen.“ (Noka et al. 2023, S. 20)
Die reale Belastung der Miete hat damit strukturelle Komponenten (Über welches Einkommen bzw. Vermögen verfügt der jeweilige Haushalt?) als auch individuelle (Wie sehen konkret Gebäude und Mietvertrag aus?). In der Diskussion müssen damit immer beide Dimensionen berücksichtigt werden.
3. Überlastung ist keine Ausnahme
Auf Basis dieser Daten stellt das Ökoinstitut fest, das
… „rund 3,1 Millionen mietende Haushalte eine Belastung durch Wohnkosten von über 40% ihres verfügbaren Einkommens haben.“ (S. 20)
… „Weitere 4,3 Millionen mietende Haushalte müssen 30-40% ihres Einkommens für Wohnkosten aufwenden.“ (S. 20)
… zusammen entspricht das einem Drittel aller Mieter, die zu hohe Belastungen durch Mieten zu tragen haben. (Balcerowiak 2023)
… „die meisten dieser Haushalte sind in den ersten drei Einkommensdezilen zu finden sind.“ (S. 20)
… „62% der armen Haushalte haben eine Belastung von über 40% des Einkommens.“ In reichen Haushalten haben nur ca. 2%.“ (S. 26)
DMB-Präsident Lukas Siebenkotten wies bei der Präsentation des Berichtes darauf hin, dass damit bei geringerem Einkommen das Risiko steigt, durch energetische Sanierungen finanziell überfordert zu sein. (Balcerowiak 2023) Wenn es schon für die bestehende Miete kaum reicht, kann eine Erhöhung im Zuge einer Sanierung erst recht nicht gestemmt werden.

4. Politische Forderungen
In der Präsentation des Berichtes forderte der DMB vor allem sechs politische Maßnahmen um die Heizungswende sozial zu gestalten. (Balcerowiak 2023)
a) Gesetzlich Verankerung des Prinzips der Warmmietenneutralität: „die von den Mietern zu tragenden Kosten dürfen nicht höher sein, als die durch bessere Energieeffizienz realisierbaren Einsparungen.“
b) Ein Sondervermögen von 50 Mrd. € für Sanierung und dem Bau von Sozialwohnungen
c) Wiedereinführung der 1989 abgeschafften Wohnungsgemeinnützigkeit
d) Absenkung der Umlage für energetische Modernisierung auf vier Prozent der tatsächlichen Kosten, inkl. eine Kappungsgrenze pro m².
e) ein bundesweiter Mietenstopp in Gebieten mit angespannter Wohnraumlage
f) unbefristete Verlängerung „Mietendeckel“ inkl. Abschaffung aller Ausnahmen.
Eine ausführliche Begründung der Maßnahmen findet sich in der Stellungnahme des Deutschen Mieterbundes zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gebäudeenergiegesetzes, zur Änderung der Heizkostenverordnung und zur Änderung der Kehr- und Überprüfungsordnung. (Deutscher Mieterbund e.V. 2023)
Ergänzung 24.07.2023
Die obigen Erkenntnisse müssen auch für die derzeitige Diskussion um das Heizungsgesetz genutzt werden. In einer lesenswerten Analyse zeigen des Ökonomen Maximilian Becker und des Historikers Lorenz Beutin zwei derzeitigen Leerstellen auf – aus linker Sicht. (Becker und Beutin 2023)
1. Gesetze zur Regulierung von Wohneigentum treffen überproportional die oberen Schichten. Insbesondere an den unteren drei Dezilen geht die Debatte völlig vorbei. Ja – es gibt die Armutshaushalte in einer eigenen Immobilie. Aber repräsentativ sind sie nicht. Sie werden medial als Pappkamerad gegen jede Modernisierung in Stellung gebracht – ohne einen Ausweg zu zeigen, ihnen zu helfen.
Entsprechend sollte sehr genau hingeschaut werden, wen betrifft es wirklich. Die Betrachtung wird durch die große Streuung der Belastung von Miet- und auch Wohnkosten erschwert. Kann der Haushalt die Investitionen nicht stemmen oder möchte er es nur nicht?
Entsprechend sollten die erheblichen staatlichen Zuschüsse von teilweise mehr als 50 Prozent der Einbau- bzw. Sanierungskosten nach realen Einkommen und Vermögen gestaffelt werden. Die freiwerdenden Gelder könnten in eine gezielte Sanierung von Wohnraum der Unterschichten oder in den sozialen Wohnungsbau gelenkt werden.
„Ein Multimillionär mit Villa an der Außenalster in Hamburg soll nach Plänen der Ampel den Einbau einer Wärmepumpe genauso gefördert bekommen wie das von Altersarmut bedrohte und in einem alten Haus lebende Ehepaar im Vogtland. Von dieser Ungerechtigkeit schweigen die Verfechter von Markt und Zaubertechnologie, weil ihre Kampagnen nichts anderes im Sinn haben, als Klassenpolitik von oben zu betreiben.“
Becker und Beutin (2023)
2. Wird aktuell viel zu wenig über die Auswirkungen auf die Mieter diskutiert. Diese könnten von deutlichen Mietsteigerungen betroffen sein. Obwohl schon jetzt viele an der ökonomischen Belastungsgrenze sind.
Wie auch vom Mieterbund gefordert, sollte die Modernisierungs- bzw. Sanierungsumlage bei Mieten begrenzt werden. Durch sie kann die Kaltmiete erheblich steigen – „und zwar zeitlich unbefristet, also auch dann, wenn die Wärmepumpe längst abbezahlt ist.“ (Becker und Beutin 2023, S. 14) Dadurch wird ein Anreiz für Vermieter geschaffen, „keine Fördermittel in Anspruch zu nehmen, da sie dann langfristig höhere Aufschläge auf die Kaltmiete nehmen können.“ (Becker und Beutin 2023, S. 14)
Der Hinweis auf den Zwang zu Fördermitteln durch den Wettbewerb läuft angesichts der derzeitigen Marktsituation fehl. Es fehlen zu viele Wohnungen als das niedrige Mieten einen Vorteil versprechen würden.
„Der ökologische Umbau der Gesellschaft darf nicht auf Kosten der Mieter*innen erfolgen. Sie müssen vor steigenden Kosten durch den Heizungstausch geschützt werden. Dazu muss die Modernisierungsumlage fallen. Die Vermieter müssen die Kosten für den Heizungstausch tragen.“
Becker und Beutin (2023)
Literaturverzeichnis
Balcerowiak, Rainer (2023): Die soziale Schere im Wohnhaus. In: neues deutschland, 30.06.2023, S. 7.
Becker, Maximilian; Beutin, Lorenz Gösta (2023): Von Heizdiktaten, Markthörigkeit und linken Alternativen. Die zentrale Ungerechtigkeit des Heizungsgesetzes ist bislang kein Thema: die Belastung von Mietern. In: neues deutschland, 01.06.2023, S. 14.
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hg.) (2022): Armuts- und Reichtumsbericht. Nettoäquivalenzeinkommen.
Deutscher Mieterbund e.V. (2023): Ausschussdrucksache 20(25)436. Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gebäudeenergiegesetzes, zur Änderung der Heizkostenverordnung und zur Änderung der Kehr- und Überprüfungsordnung, BT-Drs. 20/6875. Deutscher Bundestag. Berlin.
Noka, Viktoria; Cludius, Johanna; Widen, Malte; Liste, Victoria; Schumacher, Katja; Braungardt, Sibylle (2023): Wohn- und Energiekostenbelastung von Mietenden. Studie für den Deutschen Mieterbund. Freiburg: Ökoinstitut e.V.; Deutscher Mieterbund.