Klimaschizophrenie – oder darf ich noch atmen?

Ich habe letzte Woche eine Nachricht bekommen, in der mich eine gute Freundin nach dem ökologisch und nachhaltig besten, einwandfreisten Belag aufs Brot fragt.

Ich muss zugeben, dass ich da immer etwas überfragt bin. Die Frage wurde mir natürlich auch nicht zum ersten Mal gestellt – mir, der Nachhaltigkeitsbeauftragten meines gesamten Freundes-, Familien- und Bekanntenkreises, der Lehrbeauftragten beim Nachhaltigkeitsmodul an der Uni Leuphana in Lüneburg, der Autorin eines kleinen Klimalektüren-Büchleins.

Aber ökologisch-einwandfreier Brotbelag? Seufz. Und/Aber – hat die besagte Freundin sich nicht gerade ein NEUES Fahrrad gekauft? Na, das hätte ja wirklich nicht sein müssen. Gebraucht hätte es ja wohl vollkommen getan – kein neuer Ressourcenverbrauch, bitte!

Und Moment – wieviel CO2 hat eigentlich das Hemd verursacht, dass Sie dort tragen? Und wieso ging das nicht Second-Hand?

Und – großer Dämpfer auf das alltägliche Freudigkeitskonto: wussten Sie eigentlich, wieviel CO2 Ihre Hauskatze produziert? 2,2 Tonnen pro Jahr. Zum Vergleich für alle, die noch nicht so aufgeklärt (und verdorben?) sind wie ich: ein ‚Durchschnittsdeutscher‘ produziert 11 Tonnen pro Jahr, womit eine Katze schon bei einem Fünftel des menschlichen ökologischen Fußabdrucks ist. Wofür sie natürlich nichts kann, sondern wiederum wir, die wir uns unnützerweise Hauskatzen anschaffen. Meine Mutter hat mich bei dieser Zusammenfassung der Dinge mitleidig angeschaut – sie liebt ihre Katze. Ja, ist mir schon klar – ein gutes Mittel gegen Einsamkeit, aber brauchen wir das wirklich??

Oder viel wichtiger im Klimakontext: Können wir uns das klimatechnisch überhaupt noch leisten?

Meine Mutter ist mit im Schnitt 1,5 Katzen ja nicht die einzige Katzenbesitzerin. Meine Tante, die sich selbst als sehr ökologisch-bewussten Menschen bezeichnet, in einem tollen nachhaltigen Wohnprojekt wohnt und viel ‚bio‘ einkauft, hatte 40 Jahre lang Katzen. Und nicht nur im eine, sondern im Schnitt 2,5.

Ich bin vor Kurzem von einer längeren Reise nach Brasilien und den Staaten wiedergekommen. Meine Flüge haben 5,5 Tonnen CO2 produziert, was mir ein elefantöses schlechtes Gewissen eingebrockt hat. Obwohl ich ausglich mit ‚atmosfair‘. Ich als  ‚Öko‘, Nachhaltigkeitsbeauftragte meines gesamten Freundes-, Fam… . Aber ich hatte das Gefühl, ich müsste dringend mal raus aus meinem ‚Sumpf‘ des deutschen Nachhaltigkeits-Grübelns – mir fehlte die Kraft zum Weitermachen. Aber ok ist das trotzdem nicht – FLIEGEN – die Klimasünde number one!

Um mich zu beruhigen habe ich tatsächlich die Tonnen CO2 ausgerechnet, die all die Katzen meiner Öko-Tante verursacht haben mussten in all den Jahren – 220! Damit hätte meine Tante 56 Mal nach San Francisco hin und zurück fliegen können!! (ich hoffe, sie liest das hier nicht)

Die gesellschaftliche Transformation in Richtung klimafreundliche Gesellschaft ist schwer.

Menschen sind neugierig, verreisen, verlieben sich, bleiben dort, wollen ihre Familie besuchen, reisen wieder und oft. Menschen sind einsam, schaffen sich Haustiere an (ein mittelgroßer Hund hat sogar einen CO2-Fußabdruck wie ein Mittelklassewagen). Menschen sind gestresst und trinken fünf Coffee-To-Go am Tag, aber auch weil sie so billig und available sind. Und man hat es sich doch verdient nach dem eigenen Engagement in der Unternehmensnachhaltigkeitsgruppe oder dem sozialen Engagement im Flüchtlingsverein.

Aber können wir uns das noch leisten? Was sagen wir den fridays-for-future? Was darf Mensch noch?

Aber auch: Wo stößt Mensch an seine Grenzen?

Ich weiß es auch nicht – ich habe kein Patentrezept.

Aber ich würde sagen, wir machen weiter. Vielleicht gelingt mir die Erholung ja nächstes im heimischen Brandenburg und nicht im Wilden Westen. Vielleicht gibt es in Zukunft mehr Mehr-Generationen-Häuser oder einfach große Alterswohngemeinschaften, in denen eine Katze auf 20 Leute reicht.

Um auf den obigen Brotbelag zurückgekommen: hier meine Gedanken dazu:



  • Käse – naja; besteht aus Milch + ist nochmal aufwändiger verarbeitet
    + hoher Fettanteil (macht Lebensmittel nochmal klimaschädlicher)
  • Wurst – muss ich gar nicht ausführen, oder? Tierische Lebensmittel, v.a. Fleischprodukte haben einen ganz üblen ökologischen Fußabdruck. Zudem widerspricht es Tierwohl-Argumenten als auch ganzheitlichen Gesichtspunkten zu einer intakten Umwelt nach wie vor die Massentierhaltung zu unterstützen.
    + sowohl Wurst als auch Käse sind aufwändig in Plastik verpackt
    → alles schlecht☹
  • Avocado – der Liebling unter Vegetariern und Veganern. Allerdings: was ist an einer Avocado, selbst wenn diese ‚bio‘ ist, aus Südafrika nachhaltig? Dass es sich um ein Gemüse bzw. genauer biologisch: ein Obststück (aus botanischer Sicht eine Beere) handelt. Nun gut. Der Fußabdruck liegt aufgrund der Flugreise trotzdem deutlich über dem, was wir als nachhaltig in unserer Ernährung einstufen sollten.
    → besser nicht!
  • Kräuterquark – ICH liebe Kräuterquark. Deshalb fällt er hier natürlich recht positiv aus: auch ein tierisches Produkt, aber da nicht so fetthaltig und nicht so stark verarbeitet, hat er eine deutlich bessere Bilanz als Käse. Aber: auch nicht wirklich, abgesehen davon isst mensch davon immer schnell recht viel quantitativ, da er nicht so satt macht
    + natürlich auch verpackt, womöglich noch mit Alu-Deckel. Aluminium gehört zu den schädlichsten Verpackungsmaterialien, die wir haben
    → besser nicht
  • Aufstriche aus dem Bioladen: Paprika-Chili, sonnengebräunte Tomate, Papaya-Curry…mit fantasieanregenden Namen geizt die Aufstrich-Vielfalt aus dem Biosortiment nicht. Und die Klimabilanz? Nun ja: alles pflanzlich – sehr gut! Im Glas – also am besten beim Vergleich Einweg/Mehrweg Glas/Plastik bei normalen Getränkeflaschen kommen die Mehrweg-Plastik-Flaschen weg, v.a. wenn sie vor der Rückgabe noch mindestens ein Dutzend Mal nochmal verwendet wurden. Daher ist Glas angeblich nicht die allerbeste Verpackung, aber verglichen mit einer sofortigen Plastikmüll-Verpackung oder Alu natürlich gut!
    → von daher: doch, gut
    👍👍
    (persönliches Problem: sie sind mir meist alle etwas zu süß
    )
  • Letzter eigenerprobter Vorschlag, v.a. auch als Lerneffekt aus dem letzten Beispiel:
    Pflanzliche Aufstrich-Varianten selbst machen – Auberginenpaste, Kichererbsencreme, Paprikamus. Oder einfach gemischtes Gemüse kleingerührt, gedrückt, gematscht (um mal einen ehrlichen, sinnlichen Begriff rauszuholen) oder Zucchini-/ Champignon-/ Auberginen-Scheiben andünsten oder anbraten – mmmhh, lecker

    → mein – wie ich finde – empfehlenswertes, wenn auch etwas aufwändiges Fazit ⭐ ⭐ 👍

Aber vielleicht fällt ja was Verwendenswertes beim Kochen ab.

Und wenn ich Sie zum Punkte ‚Weitermachen‘ um etwas bitten dürfte: als ‚Öko‘ bewegt man sich irgendwann zunehmend in seiner ‚Blase‘. Vielleicht ist es bei Ihnen auch so und Sie hätten diesen Artikel sonst gar nicht entdeckt. Wenn nicht: sprechen Sie doch bitte mit den Menschen, die Sie überzeugen können und die vom Nachhaltigkeitsdiskurs echt wenig Ahnung haben. Warum auch immer – allerdings: das Leben ist komplex genug.

Danke!

Bildrechte

Bild (Startbild): Die Versuchungen des heiligen Antonius. Autor: Martin Schongauer (1480-1490). Lizenz: Gemeinfrei.

Bild (Im Text): Breads & Spreads. Autor: Stephanie. Lizenz: Creative Commons Attribution 2.0 Generic CC-BY 2.0.

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