Ich habe letztens eine wirklich tolle, sehr spontane Radtour unternommen. Mein Nachbar ist Ingenieur und unternimmt seine Touren zu seinen Baustellen nach Berlin mit dem Fahrrad. Wir wohnen in Potsdam, muss man dazu sagen. Die Entfernung ist nicht unüberwindbar. Bis nach Berlin Wannsee sind es lediglich 5,6 km, aber das große, schöne Berlin ist von dort natürlich noch ein Stück weg. Von Wannsee bis zum Berliner Dom sind es z.B. nochmal 21,3 km.
Auf jeden Fall hat Herr O. mich mit wunderschönen Umwegen zu verschiedenen Baustellen geleitet. Dabei unter anderem zum Tempelhofer Feld, wo er mir die phänomenale Sicht zeigte, wenn sich die Wasserversorgungstürme mit dem Fernsehturm überschneiden. Es war dort zwar so windig – und ich glaube, das ist es dort immer – dass man sich entweder beim Hin- oder beim Rückweg über ein gutes Oberschenkel-Training freuen kann. Aber die Weite, über die man den Blick schweifen lassen kann, und die bunten Paraglider entschädigen einen voll und ganz.

Sehr stolz und welch eine Freude, ihn zu bekommen – unser Fahrtbericht.
Zwei Tage später schickte mir Herr O. diesen ausgeschmückt mit einem Foto von mir vor dem Brandenburger Tor zu. Was mich am ehesten zum Lächeln brachte, war die Kilometerzahl: 71. Juchu! Das war ja eine ganz schöne Mammuttour, ohne dass ich das wirklich mitbekommen hätte. Man muss dazusagen, dass Herr O. auch wirklich gern erzählt und, da ein Sonnenschein von einem Menschen, meist von lustigen Gegebenheiten.
Gleichzeitig ist er ein guter Fahrrad-Guide. Er erklärt, warum man nicht so weit auseinander-fahren sollte, warum es schon manchmal durchaus legitim sein kann, auf dem Fußweg zu fahren, zeigt einem schöne, ruhige, grüne Fahrradrouten und winkt allen Bekannten fröhlich zu. Nur geduldig anhalten und sich Sehenswürdigkeiten angucken, war so gar nicht drin. Dafür ähnelt er zu sehr einem Erdmännchen, das dann ganz schnell weiter will.
Lange Rede, kurzer Sinn: das war eine sehr schöne Fahrt und hat bei mir die Frage aufgeworfen, warum nicht mehr Menschen Fahrrad fahren. So andauernd und überall hin. Wie Herr O. Mitten in Berlin. Vor allem beim Anblick des Staus neben uns, während der sonnigen Rückfahrt zwischen Wannsee und Griebnitzsee. Wo Fahrradfahren doch so ein wirksamer und einfacher und lebensqualitäts-verbessernder Klimaschutz ist!
Wussten Sie, dass der Verkehrssektor in Deutschland ein Fünftel unseres CO-Ausstoßes verursacht? Davon gehen wiederum 84% auf das Konto von Autos, Motorrädern und Lastwagen. Wenn man bedenkt, dass wir in absehbarer Zukunft unseren nationalen CO-Ausstoß um bis zu 80% reduzieren sollen, kann man im Verkehrssektor ganz schön viel machen.

Und Fahrradfahren ist doch so schön.
Und für die Figurbewussten unter uns: Wussten Sie, dass ein Alltags-Radler im Schnitt vier Kilo weniger auf die Waage bringt als ein Alltags-Autofahrer? Das fand ich zwar irgendwie wenig, aber trotzdem recht beeindruckend. Stellen Sie sich vor, Sie würden Ihren morgendlichen Weg zur Arbeit einfach radeln, statt auf die S-Bahn zu warten oder Auto zu fahren. Sie würden die Zeit sparen, die Sie ansonsten noch für das Fitness-Studio benötigten. Sie würden die Kosten für das Fitness-Studio sparen. Ihnen bliebe das schlechte Gewissen, nicht ins Fitness-Studio gegangen zu sein, erspart. Und von den Kosten, die Ihr Auto durch Herstellungskosten, Reparaturen, Versicherung und natürlich Benzin oder Gas verbraucht, haben wir noch gar nicht angefangen.
Ich weiß, ich habe diese Diskussion schon mit einer Menge von eher-wenig-enthusiastischen halb Auto-/halb Radfahrern mit Tendenz zum Auto, v.a. bei Wind oder Regen, geführt. Ja, ok! Ich kann Menschen mit drei Kartons Schulmaterial oder zwei Kindern, die zur Schule und/oder in den Kindergarten gebracht werden müssen, verstehen! Auch Ärzte, die wirklich schnell von Patient zu Patient mit Arzttaschen inklusive Medikamenten, die nicht regendurchnässt angepriesen werden sollten, kann ich durchaus nachvollziehen, wenn sie von meinem Fahrradrausch nicht wirklich angetan sind.
Und auch all jene Berliner oder Hamburger oder Frankfurter[1] , die sich nicht durch den fahrradunfreundlichen Berufsverkehr morgens drängeln wollen, um sich trotz allgemein gesundem Lebenswandel eine Staublunge einzuhandeln. Aber seien wir mal ganz ehrlich: in Berlin gibt es viele(!), schöne Radwege, verkehrsberuhigte Zonen und zu entdeckende Grüngebiete wie z.B. das Tempelhofer Feld oder den grünen Mauerstreifen oder der Grunewald. Von Potsdam ganz zu schweigen.
Sind Sie schon mal durch den Neuen Garten gefahren (nun ja, dort, wo wir Fahrradfahrer noch fahren dürfen) oder durch den Babelsberger Park? Von dort kann man über die kleine, malerische Kopfsteinpflaster-Brücke Richtung Glienicker Brücke tingeln. Von dort geht es wiederum die Berliner Straße entlang, vorbei am Glienicker Schloss mit den hübschen, goldenen, wasserspeienden Löwen in Richtung Heiligen See. Das sind alles nicht Ihre Routen zur Arbeit, aber welche, die zum Trainieren oder zum Stressabbau am Wochenende einfach nur ganz viel Laune aufs Fahrrad fahren machen.
Ich habe letztens einen Bekannten getroffen, der seit circa einem Jahr seinen Arbeitsweg von gut 13 km pro Strecke mit dem Fahrrad fährt. Seitdem hat er bestimmt zehn Kilo abgenommen und Ende August eine beneidenswerte, natürliche Bräune vorzuweisen. Er freute sich auf meine Einladung zum Eis besonders und nahm gleich 4 Kugeln; er war gerade zurückgeradelt.
Und, um nochmal ein kleines Faktengewitter loszuwerden
Wussten Sie, dass Fahrradfahren:
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- 320kcal pro Stunde verbraucht, selbst wenn man mit mäßiger Schnelligkeit (15km/h) fährt? Das ist ungefähr soviel wie 60 gr. Schokolade *juchu*. (Ist aber individuell verschieden, abhängig vom Körpergewicht. Berechnen Sie es selbst.)
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- Die Gelenke werden optimal „geölt“ durch die zyklische Bewegung ohne große Belastung durch das Körpergewicht, 70% des Gewichts ‚ruht‘ auf Sattel, Pedalen und dem Lenker. Dies bedeutet, dass die Knorpelmasse in den Gelenken durch das Fahrradfahren gut durchblutet und damit mit Nährstoffen versorgt werden. Fahrradfahren ist daher auch für diejenigen unter uns, die auch mal gern genießerisch geschlemmt und daher zurzeit ein paar Pfunde zu viel auf den Rippen haben, ein super Sport.
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- Wer regelmäßig fährt, baut Muskelmasse auf und die verbrennt auch in Ruhephasen mehr Energie.
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- Beim Fahrradfahren wird das Glückshormon Endorphin und das Wachstumshormon STH ausgeschüttet. Letzteres steigert Ihre tägliche Leistungsfähigkeit und Stressresistenz. Perfekt, um auf dem Weg nach Hause nach der Arbeit, den dort eventuell aufgestauten Stress abzubauen.
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- Es stärkt die Rückenmuskulatur und verleiht der Wirbelsäule Stabilität. Es wirkt daher gegen Rückenschmerzen oder beugt diesen vor. (Dabei ist jedoch die richtige Haltung wichtig – der Oberkörper sollte leicht nach vorn geneigt sein (15 bis 20 Grad), sodass der Rücken leicht angespannt ist und sich der Schwerpunkt über der Pedalposition befindet.)
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- Zu guter Letzt wirkt dieses schonende Training vielen Krankheiten vor wie Diabetes, hohem Blutdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, senkt die Cholesterin-Werte und verhindert so Arteriosklerose und Husten & Schnupfen & Heiserkeit sowieso, weil Sie immerzu draußen sind.
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Und – was mir rein persönlich als Klimaschutz-Philosophin besonders am Herzen liegt – es schützt die Umwelt und ist aktiver Klimaschutz!! Fortbewegung so ganz ohne Emissionen mit Gesundheits-effekt. Und das, ohne so schrecklich anstrengend zu sein wie der neue Power-Buttocks-Hot-Kick-Yoga-Popballett-Kurs im Fitness-Studio nebenan. Also: Kaufen Sie sich einen schönen neuen Sattelschutz (weil ein nasser Sattel ist wirklich ein Grund, nicht zu fahren!) und gewinnen Sie Ihren Drahtesel wieder lieb.
[1] Das waren jetzt alles auch Nahrungsmittel, aber unabsichtlich.
Die Gastautorin Christine Heybl schrieb diesen Artikel im Herbst/Winter 2017.
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