What´s left? – Eine Kritik an Klaus Dörre

Der Vortrag von Prof. Klaus Dörre war ein guter Start um weiter über die Bedeutung der Linke nachzudenken. Aber es fallen Leerstellen auf die anregen, weitergehende Fragen zu stellen.

A) Kein kämpferisches Pathos

Dörres intellektueller Vortrag strahlte wenig Emotionen aus. Symboliken, (Arbeiter-)Kultur und Geschichte der Linken kamen kaum vor. Selbst die durchaus beachtlichen Erfolge linker Politik der letzten 30 Jahren wurden nur kurz bilanziert – ohne das Herz anzusprechen.

Aber linke Projekte müssen erkämpft werden. Nicht durch Blut in den Straßen – aber doch durch harte Klassen-, Arbeits- und Wahlkämpfe. Die Rede von Dörre strahlte das nicht aus. 

´Was ist links` – ohne Klassenkampf, Revolution und linken Pathos?

B) Umverteilung ohne Ziel

Ja – Dörre formuliert einen großen Auftrag für eine erneuerte Linke:

Aber das ist weder eine Kampflosung noch eine Utopie. So wie Dörre es formuliert klingt es nicht nach morgen ist deine Miete bezahlbar, bekommen deine Kinder einen guten Kindergartenplatz, werden Nahrungsmittel preiswert und die Bahn pünktlich sein.

Zumal Dörre nur wenig später eine noch stärker intersektionalisierte Linke forderte (Universität Kassel 2024) – oder „sie wird gar nicht mehr sein“. Die Linke soll sich noch intensiver um multidiskriminierte Menschen kümmern bzw. über diese definieren. Der Bezug zur geforderten Umgestaltung der Eigentumsstrukturen wurde nicht deutlich.

Im Gegenteil, hier deutet sich eine Fortschreibung der letzten Jahrzehnte an – Privilegien für selektive Minderheiten gegen Stabilität der Eigentums- und Machtstrukturen auf Kosten breiter Teile der Unter- und Mittelschicht. Aber die Forderung von Dörre dürfte Janine Wissler gefreut haben, die im Publikum saß und von ihm persönlich begrüßt wurde.

Die geforderte Umverteilung droht zum Selbstzweck zu werden. Aber sie muss immer ein Instrument sein, um den Massenwohlstand zu heben. Wie dieser neue Wohlstand – letztlich die bessere Gesellschaft – aussehen könnte, erläutert Dörre nicht.

Was bringt der Unter- und Mittelschicht die geforderte Umverteilung? Welchen Nutzen hat Proll Bauarbeiter*in von einer gesellschaftlichen Kontrolle über die Produktionsmittel? Entsteht dabei mehr als ein von egoistischen Lobbygruppen gekaperter Eingriffsstaat? Der derzeitige Versuch Deutschlands, mittels Hochrüstung und Nationalisierung der Energieinfrastruktur aus der Wirtschaftskrise zu kommen, lässt grüßen.

C) Wie hälst du es mit der BSW?

Gibt es nicht schon diese neue Strömung mit stärkerem Fokus auf Arbeit und Klasse? Die BSW hat sich ja gerade auch von der LNKEN abgespalten, um ´harte` Themen der Ökonomie und des Alltagswohlstandes mehr ins Zentrum zu rücken. Natürlich ist es noch ein Selbstanspruch. Ob sie ihn einlösen kann, bleibt abzuwarten. Aber diese neue Partei erwähnt Dörre im Vortrag nicht. Er gesteht ihr aber im Interview Frankfurter Rundschau zu, beim Thema ´Krieg oder Frieden` die zugkräftigere Position zu vertreten. (Göpfert 2024)

Die Möglichkeit, dass die LINKE bald nicht mehr im Parlament vertreten ist, wird von Dörre selbst angesprochen. Sein Ausweg: eine plurale Linke bzw. Mosaiklinke (Urban 2018) die für die verschiedenen Konfliktfelder unterschiedliche Akteure in ihren Reihen vereint.  Aber war die LINKE nicht eine solche Partei – und ist gescheitert als innere Toleranz sowie Führungsstärke ausblieben und das Heil in einer Konzentration auf urban-linkslibertäre Gruppen gesucht wurde?

D) Keine sozialistische Utopie

Im Dörres Vortrag fehlt die Utopie eines in die Zukunft gerichteten Sozialismus. Schon den Begriff verwendet er nur rückwärtsgewandt – im Bezug zum Untergang des Ostblocks und in einer minutenlagen Reverenz auf Bernie Sanders. Begriffe wie Kommunismus oder Anarchismus kamen gar nicht vor.

Aber ist ein Linke ohne (zumindest deklaratorische) Orientierung am Sozialismus überhaupt zu einer Umgestaltung des Systems fähig? Michael Brie verneint es in seiner Analyse zum Niedergangs der LINKEN deutlich:

Dörre konstatiert zutreffend: „Die Linke muss utopisch sein, sonst ist sie nicht links.“ Nun – was ist eine linke Utopie – jenseits der Aneinanderreihungen von Worthülsen wie feministisch, antirassistisch, antifaschistisch, ökologisch-nachhaltig?

E) Keine Relevanz des globalen Südens

Im Vortrag bezieht sich Dörre ausschließlich auf den Westen. Weder die neuen anti-kolonialistischen Bewegungen Afrikas, noch die linken Regierungen Süd- und Lateinamerikas oder die sozialistischen Volkswirtschaften Asiens – wie China und Vietnam – finden Erwähnung.

Hält Dörre diese überhaupt für links? Würden die dortigen Kräfte seiner Definition von links zustimmen? Gehen von ihnen Impulse für hiesige linke Kräfte aus?

Scheinbar sind politische Konzepte des Globalen Südens nur gewollt, wenn sie, wie das Weltsozialforum, westlich dominiert sind. Aber die reale Politik linker Regierungen in Asien, Südamerika und Afrika prägt die Welt gegenwärtig mehr, als die europäische Linke – von der politisch marginalisierten US-Linken ganz zu schweigen.

Was bedeutet ´links` im globalen 21. Jahrhundert? Hat die europäisch-westliche Linke noch Anspruch auf und Fähigkeit zur weltweiten Führung? Oder wird sie – wie im 19. Jahrhundert – nur eine bedeutende Strömung innerhalb einer Weltregion sein? Was wäre dann noch ihre politische Funktion?

Literaturverzeichnis

Brie, Michael (2024): »Man hat klassen­verbindende Politik propagiert und klassen­spaltend agiert«. In: jacobin, 19.07.2024.

Göpfert, Claus-Jürgen (2024): Soziologe Klaus Dörre: „Wir müssen Arbeit und Klasse wieder zum Thema machen“. Hg. v. Frankfurter Rundschau. Frankfurt a.M.

Universität Kassel (Hg.) (2024): Intersektionalität. Kassel.

Urban, Hans-Jürgen (2018): Epochenthema Migration: Die Mosaiklinke in der Zerreißprobe? In: Blätter für deutsche und internationale Politik, September 2018 (09/2018).

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