Das Verbändebündnis „Soziales Wohnen“ (u.a. Deutschen Mieterbund und IG BAU) hat Anfang Januar eine weitere Studie zum deutschen Wohnungsmarkt veröffentlicht. Diesjähriger Schwerpunkt ist die Entwicklung des sozialen Wohnungsbaus. (Pressemappe: Günther 2024)
Die Analyse zur letzten Großstudie – Thema: Zukünftiger Bedarf an Wohnraum (Günther 2023) – findet sich ebenfalls hier im Blog. (Kleinwächter 2023)
Der Bericht quantifiziert die regionalen Unterschiede innerhalb des deutschen Wohnungsmarktes. Dabei konzentrieren sich die Autoren auf ökonomischen Differenzen – Unterschiede in der staatlichen Regulierung werden nicht untersucht.
Kernaussage: In den letzten 20 Jahren brach der Wohnungsmarkt völlig um. Die Angebotsüberschüsse der 2000er Jahre wandelten sich zu einem Mangel an Wohnraum.
Leerstandsquote – Zentraler Indikator
Einer der Hauptindikatoren für das Verhältnis von Angebot und Nachfrage im Wohnungsmarkt ist der Anteil der leerstehenden Wohnungen – die sogenannte Leerstandsquote.
„Ein ausgeglichener Wohnungsmarkt braucht einen gewissen Leerstand. Zwischen dem Auszug einer Mietpartei und dem Einzug der folgenden steht eine Wohnung meist ein bis drei Monate leer, um die Neuvermietung zu regeln und notwendige Renovierungsarbeiten durchzuführen. Dieser Leerstand für eine Übergangszeit wird Fluktuationsreserve genannt. Sie ermöglicht erst Umzüge in der Stadt. Ohne ausreichenden Fluktuationsleerstand müssen Menschen in unpassenden Wohnungen bleiben – der Wohnungsmarkt ist blockiert.“
Berliner Mieterverein 2023 (2022, S. 27)
Stehen zu wenig Wohnungen leer, verschiebt sich die wirtschaftliche Macht zugunsten der Immobilienbesitzer. Folge sind u.a. ein (zu) schneller Anstieg der Mieten und Bodenpreise, mangelnde Sanierung bzw. Entwicklung des Bestandes, da die Ausschaltungsfunktion des Preises nicht mehr wirkt, und überproportionale Zunahme sozialer Härten wie Überforderung durch Mietzahlungen, Zunahme Zwangsräumungen und Obdachlosigkeit.
„Ein [zu] geringer Leerstand wird in der Fachwissenschaft angenommen, wenn der Leerstand unter drei Prozent sinkt. Eine sogenannte Fluktuationsreserve von drei Prozent oder darüber wird gemeinhin als notwendig für das Funktionieren des Wohnungsmarktes angesehen. Eine [zu] große Nachfrage [bzw. ein zu kleines Angebot] liegt vor, wenn die notwendige Fluktuationsreserve von drei Prozent unterschritten ist.“
Beratung für Wohnen, Immobilien und Umwelt GmbH (2019, S. 5)
Werden die Leerstände aber zu hoch, führt das zu betriebswirtschaftlichen Problemen. Die Vermieter können den Wohnungsbestand zunehmend nicht mehr rentabel modernisieren und weiterentwickeln. Die Bestände veralten. Ebenfalls geht der Neubau zurück, da die Mittel für zusätzliche Bauprojekte fehlen. 10 Prozent Leerstand gelten hier als Grenze für den wirtschaftlichen Betrieb von Mehrfamilienhäusern. (immoportal.com 2024)
Für einen funktionierenden Wohnungsmarkt wäre eine durchschnittliche Leerstandsquote von vier bis sechs Prozent anzustreben. Dabei ist zu beachten, dass es je nach Region, Lage und Marktsegment zu erheblichen Abweichungen kommen kann. Die Quote sollte entsprechend weder nach unten noch nach oben ausgereizt werden.

Vom stabilen Markt zum Mangel an Wohnraum
Wird für die letzten 20 Jahre eine deutschlandweite Leerstandsquote als Indikator verwendet, zeigen gängige Datenquellen übereinstimmend zwei deutlich abgrenzbare Phasen. Ein Vergleich der vier Hauptstatistiken findet sich auf Seiten des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung. (Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung 2020)
Die erste Phase ist durch einen ansteigenden Leerstand gekennzeichnet. Sie reicht von den 1990er Jahren bis um das Jahr 2006. Damals lag die Leerstandsquote im Maximum bei knapp über vier Prozent. Insgesamt ein ausgeglichener Markt – mit regionalen Unterschieden.
Ab dem Jahr 2007 begann die zweite Phase. Sie ist gekennzeichnet durch ein kontinuierliches Absinken der Leerstandsquote. Wobei es nach einer kurzen Stabilisierung auf niedrigem Niveau, seit 2021 zu einer deutlichen Zuspitzung kommt. Spätestens seit 2015 wird die Schallmauer von drei Prozent unterschritten. Der Markt kippt in Richtung Nachfrageüberhang – es manifestiert sich ein flächendeckender Wohnraummangel.
Nächstes Teil – Regionale Entwicklungen.
Literaturverzeichnis
Beratung für Wohnen, Immobilien und Umwelt GmbH (Hg.) (2019): Gutachten zur Identifizierung von Gebieten in Baden-Württemberg mit angespannten Wohnungsmärkten. im Auftrag der Landeskreditbank Baden Württemberg. Endbericht Teil 1 zur Mietbegrenzungsverordnung nach § 556d Abs. 2 BGB.
Berliner Mieterverein (Hg.) (2023): Mietermagazin. Geisterhäuser – ein Problem unter dem Radar (7+8/2023).
Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (Hg.) (2020): Künftige Wohnungsleerstände in Deutschland – regionale Besonderheiten und Auswirkungen. Abgleich und Bewertung bestehender Leerstandsdaten.
Günther, Matthias (2023): Bauen und Wohnen in der Krise. Aktuelle Entwicklungen und Rückwirkungen auf Wohnungsbau und Wohnungsmärkte. Hg. v. Verbändebündnis soziales Wohnen. Pestel Institut gGmbH; Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e. V. Berlin.
Günther, Matthias (2024): Bauen und Wohnen 2024 in Deutschland. Hg. v. Verbändebündnis soziales Wohnen. Pestel Institut gGmbH. Hannover.
immoportal.com (Hg.) (2024): Leerstandsquote bei Immobilien. Stuttgart.
Kleinwächter, Kai (2023): Dauerhafter Mangel an Wohnraum. zeitgedanken.blog. Potsdam.
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