Theorie der Nicht-Entscheidung

Es existieren grundsätzlich zwei Ansätze bei der wissenschaftlichen Analyse von Prozessen. Der „Standard“ ist, sich darauf zu konzentrieren was vorhanden ist. Bsp.: Untersuchung Regierung: Bundeskanzler ist Friedrich Merz, Union und SPD regieren zusammen … Die meist deutlich kritischere Alternative ist, zu untersuchen, was fehlt bzw. eben nicht vorhanden ist. Eine interessante Frage wäre dann, warum zur Kanzlerwahl nur ein alter, weißer, (nord-)westdeutscher, studierter, männlicher Multimillionär mit jahrzehntelange Partei- und Konzernkarriere zur Auswahl stand und eben NICHT beispielsweise Frau Kowaltschik – Frau, Migrantin, Geschieden, Atheisten, Arm, wohnhaft in Ostdeutschland?

In der politischen Theorie wird der Ansatz als „non-decision-making“ bezeichnet. Begriff und Denkansatz der Nicht-Entscheidung entwickelten Dr. Peter Bachrach (Fischer 2008) und Morton Baratz im Artikel „Two Faces of Power“ (Bachrach und Baratz 1962) von 1962. Sie fokussieren auf die „versteckte“ Seite von Macht – die Fähigkeit Konflikte, Themen oder auch Symbole so zu unterdrücken, dass sie eben nicht mehr als reale politische Option vorhanden sind. Entsprechen definieren Bachrach und Baratz „Macht“ als:

Insbesondere bei Wahl- und Entscheidungsprozessen ist oft bedeutender, welche Alternativen nicht gewählt werden können, weil es schon vorher durch Macht-Eliten wegselektiert wurde. Diese Alternativen werden garantiert nicht umgesetzt, da sie nicht mehr zu Entscheidung anstehen. Der Denkansatz der Nicht-Entscheidung führt u.a. zu Fragen

– des Agenda-Setting (Geiger und Demmel 2023): Der Fähigkeit von Massenmedien bestimmte Themen zu puschen,

– der Kulturellen Aneignung: Die Fähigkeit politische und kulturelle Symbole zu übernehmen, und mit eigener Bedeutung aufzuladen bzw. die ursprüngliche zu löschen,

 – der Repräsentanz: Besetzungen von Spitzenpositionen, derzeit heftig umkämpft im Zugang von „Minderheiten“ zu Machtpositionen, seien es Frauen, Migranten oder auch Ostdeutsche.

Ein Forscher mit einem solchen Ansatz würde also …

Literaturverzeichnis

Bachrach, Peter; Baratz, Morton S. (1962): Two Faces of Power. In: The American Political Science Review (Vol. 56, No. 4), S. 947–952.

Fischer, Kim (2008): Temple Professor Peter Bachrach, political scientist and leading theorist of participatory democracy, dies at 89. Temple University. Philadelphia (USA).

Geiger, Ingo; Demmel, Gearld (2023): Agenda-Setting einfach erklärt: Wie bestimmen Medien, was wir denken? Hg. v. kontrast.at. Wien.

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