Das seit 1947 bestehende Parteiensystem aus SPD, Union und FDP ist zusammengebrochen. Auf dem Höhepunkt in den 1970er Jahren vereinigten die Volksparteien zwischen 85 und 91 Prozent der Stimmen auf sich. Die Scharnierpartei FDP entschied, wer regieren konnte. (Kleinwaechter 2025)
In der Gegenwart ist die FDP ist nicht mehr im Bundestag vertreten. Weniger als die Hälfte aller Wähler stimmten noch für die „Volksparteien“ – Tendenz fallend. Wäre das BSW nicht knapp an der fünf Prozent Hürde gescheitert, hätte die jetzige Regierung keine parlamentarische Mehrheit. Ebenfalls nehmen die inneren Fliehkräfte deutlich zu, wie das SPD-Manifest für eine alternative Außenpolitik (SPD-Friedenskreise 2025), die Wiederwahl von Lars Klingbeil mit nur 64,9 Prozent zum SPD-Vorsitzenden am 27. Juni und die gescheiterte Wahl der Bundesverfassungsrichter zeigten (Hildebrandt 2025). Die parlamentarischen Mehrheiten sind äußerst knapp und damit fragil. Sie könnten bei Kampfabstimmungen schnell kippen – wie bei der verfehlten Kanzlerwahl im ersten Wahlgang. Die Merz-Regierung ist ähnlich instabil wie ihr Vorgänger
Dialektik – Außenpolitik und inneres Kräfteverhältnis
Die Wirksamkeit staatlicher Außenpolitik basiert auf den inneren Kräfteverhältnissen. Je instabiler und prekärer diese sind, umso so wankender und ineffektiver wird die Außenpolitik. Gerade in Zeiten des Umbruchs entsteht eine Abwärtsspirale: Auf schnelle Veränderungen außenpolitischer Konstellationen, können schwache Regierungen nicht adäquat reagieren. Sie halten dem äußeren politischen Druck nicht stand, können die notwendigen Ressourcen nicht mobilisieren und sind durch (von außen geschürte) Machtkämpfe gebunden. Die mangelnde Durchsetzungskraft nationaler Interessen schwächt solche Regierungen zusätzlich und verringert ihre außenpolitischen Fähigkeiten weiter.
Die Ampelregierung hat es vorgemacht. Sie hätte als verstrittene, aber sich durchwurstelnde bürgerliche Reformregierung in die Geschichte eingehen können. Doch die Konfrontation mit Russland führte zu schwersten ökonomischen und politischen Erschütterungen. Schnell war der Konsens zwischen den Koalitionspartnern aufgebraucht. Eine Weile hielt sie noch der Wille zur Macht zusammen. Aber das reichte nicht als immer mehr Landtagswahlen verloren gingen. Die Ampelregierung scheiterte, weil sie als innerlich schwache Regierung, weder in der Lage war, den Krieg in der Ukraine zu beenden noch sich den geoökonomischen Folgen zu entziehen.
Ein politisch schwacher Friedrich Merz
Der jetzigen Regierung droht ein ähnliches Schicksal. Friedrich Merz muss, wie sein US-amerikanischer Gegenpart, für seinen Machterhalt permanent zwischen gegensätzlichen politischen Strömungen balancieren. Weder sollen die Hardliner zu sehr enttäuscht werden, noch dürfen die „Tauben“ die Hoffnung verlieren und von Bord gehen.
Offensives Vorgehen und markiges Auftreten des deutschen Kanzlers sollen die knappen Mehrheiten der Regierung überdecken. Wie sein Vorgänger klammert sich Merz an drei miteinander verknüpften Illusionen. Der Einsatz ist seine Kanzlerschaft und Deutschlands Wohlstand.
Illusion 1: Eine durch immense Verschuldung getriebene Hochrüstung erzeugt schnell ein hohes Wirtschaftswachstum, das breiten gesellschaftlichen Schichten zugutekommt. Neoliberale Deregulierung sowie konservativste Energie- (Paul 2025) und Umweltpolitik (Stenger 2025) gepaart mit Angriffen auf den Sozialstaat sollen zusätzliche Impulse für Investitionen der Konzerne setzen. Sinkende Arbeitslosigkeit und steigende Löhne entfachen eine positive Stimmung und stabilisieren das politische System.
Illusion 2: Mit der neuen militärischen und ökonomischen Stärke kann (Flüchtlings-)Krisen wirksam begegnet werden. Insbesondere der Ukraine-Krieg, aber auch gewaltsame Konflikte im Balkan und Nordafrika werden so zu Gunsten Deutschlands beeinflusst. Kommende Masseneinwanderungen aus der EU-Peripherie als auch dem Nahen Osten lassen sich entsprechend unterbinden. Die gelösten Konflikte schlagen entsprechend nicht negativ auf Wirtschaftswachstum und politische Stimmung durch.
Illusion 3: Durch Lavieren, Anbiedern und der Demonstration politisch-ökonomischer Stärke können die Handelskonflikte mit den USA – und China – mindestens eingedämmt werden. Der Außenhandel entwickelt sich in Folge weitgehend stabil. Die stagnierende Binnenwirtschaft in Folge des Sozialabbaus erhält so dringend benötigte Impulse. Gleichzeitig begrenzt Deutschland gemeinsam mit anderen Großmächte die internationalen Krisen.
Illusion 4: Innere Kulturkämpfe gegen Homosexuelle, gegen Frauenrechte bzw. Abtreibungen oder auch gegen Migranten schaffen politische Symbole. Diese lenken einerseits von sozialen und ökonomischen Problemfeldern ab. Andererseits sollen verlorene (Unions-)Wähler zurückgeholt werden. Der neue innere Rückhalt sichert sowohl neoliberale Wirtschaftspolitik als auch militaristische Außenpolitik ab.
Das absehbare Scheitern
Diese Politik scheitert wahrscheinlich. Ein selbsttragendes Wachstum der Wirtschaft mittels Hochrüstung ist mehr Mythos als belegte Wissenschaft. Soll die Zinsbelastung kontrollierbar bleiben und nicht zu inflationären Schocks führen, müsste über Jahrzehnte ein Wirtschaftswachstum von über 2,5 Prozent realisiert werden. Ein solches Wachstum erreichte Deutschland auf Dauer seit den 1970er Jahren nicht mehr.

Rückwärtsgewandte Energie- und Umweltpolitik schafft keine exportfähigen Wirtschaftsstrukturen und stärkt auch nicht die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie. (Osmanovic 2025) Überdimensioniert Schulden und Fokussierungen auf militärische Lösungen potenzieren weltweite Krisen. Deren Begrenzung erfordert Ressourcen jenseits dessen, was der Westen aufbringen kann. Für die USA und China ist Deutschland selbst mit 260.000 Bundeswehrsoldaten – so sie denn rekrutiert werden können – kein Partner auf Augenhöhe. Entsprechend mau sind die bisherigen Fortschritte bei der Lösung der Handelskonflikte.
Sollten die hochriskanten Illusionen nicht aufgehen, wird die Stimmung in der Bevölkerung schnell kippen. Dann wird diese Regierung eher am Ende sein, als viele es derzeit für möglich halten. Aus derzeitiger Sicht übersteht sie keine vier Jahre. Anstatt militaristisches Zocken wäre eine realistische Entspannungspolitik die bessere Strategie.
Literaturverzeichnis
Hildebrandt, Tina (2025): Richterwahl im Bundestag. Ganz schön wacklig. In: zeit.de, 11.07.2025.
Kleinwaechter, Kai (2025): Deutschland – Ende des bekannten Parteiensystems. zeitgedanken.blog. Potsdam.
Osmanovic, Armin (2025): Der deutsche Selbstbetrug. In: nd, 02.07.2025.
Paul, Reimar (2025): Gasförderung vor Borkum. Geschenk für die fossile Industrie. In: nd, 25.06.2025, S. 7.
SPD-Friedenskreise (Hg.) (2025): Friedenssicherung in Europa durch Verteidigungsfähigkeit, Rüstungskontrolle und Verständigung. Berlin.
Stenger, Kurt (2025): Deregulierung auf dem Feld. In: nd, 25.06.2025, S. 7.
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